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Anthropologie und Formen der Umgangssprache - die in unserem alltäglichen Sprachgebrauch unterliegenden Aspekte der Philosophie des Thomas von Aquin

(Text der Vorlesung in Universitat Autònoma de Barcelona, Departament de Ciències de l'Antiguitat i de l'Edat Mitjana, am 23.4.98 erhalten)


L. Jean Lauand

(Übersetzung ins Deutsche von
Dr. Frau Gabriele Greggersen)


Einleitung


"Danke schön", "Gratuliere", "Entschuldigung", "Mein teurer Freund", "Mein Beileid", "Pardon" und etliche andere Redewendungen des alltäglichen menschlichen Umgangs - aus unserer und anderer Sprachen -, schließen in sich tiefgründige Auskünfte für die philosophische Betrachtung des Menschen ein.

Jenseits des eventuell leeren Formalismus, in den der tägliche Gebrauch sie zu drängen droht, fielen diese - auf den ersten Blick so harm-losen - Ausdrücke ursprünglich in wichtige Regionen der menschlichen Wirklichkeit.

Aufgrund der methodologisch-thematischen Diskussion über Semantik und philosophische Anthropologie (angeführt von der klassischen Figur des Thomas von Aquin), eröffnen diese alltäglichen Umgangsformen echte, chiffrierte, manchmal unerwartet erstaunliche und weise Aussagen... So wie Isidoro von Sevilla sagte, kann man die Wirklichkeit nicht ohne Etymologie ergründen und erst durch sie trifft man eher die volle Ausdruckskraft der Worte.(1)

 

Methodologische Aspekte


Wenn sich die Philosophie der Umgangssprache zuwendet, gleitet sie in keine Nebenmethode ab, sondern handelt vom wesentlichen, das zum eigentlichen Kern des philosophischen Denkens gehört.

Die Untersuchung der alltäglichen Redewendungen ist auch wichtig von dem Aspekt "Erziehung" her, falls wir wünschen, daß die Erziehung die Bereiche des simplen Formalismus(2) transzendiert und den Prozeß der authentischen Selbstverwirklichung erreicht, in dem die Person sich die anthropologischen Inhalte und Bedeutungen aneignet, die den Formen letztlich zugrunde liegen.

Diese Aneignung ist, wie gesagt, weder simpel noch unmittelbar. Man neigt eher zur Stumpfheit und zum Vergessen der ursprünglichen Sinngebung, die in dieser oder jener Form der Umgangssprache noch zu erscheinen mag. Denn, sowohl von der westlichen, wie von der östlichen Anthropologie, wird als feststehende fundamentale Wahrheit betont: Der Mensch ist grundsätzlich ein Wesen das vergißt(3)!

Diese Tatsache führte dazu, daß die Umgangssprache, die lebendige Sprache des Volkes, in vielen Fällen zur Bewahrerin großer, vergessener Erfahrungen wurde. Wenn wir also den menschlichen Sinn und Inhalt einlösen wollen, die in den Redewendungen verborgen sind, müssen wir uns diesen Aussagen kritisch zuwenden...

Es ist daher nicht weiter verwunderlich, daß wir bei einem Klassiker wie Sankt Thomas von Aquin, eine mit der Sprache hoch verpflichtete Philosophie finden. In diesem Zusammenhang ist es angemessen, uns auf einige seiner methodologischen Prinzipien zu besinnen:

1) Unsere Worte beschreiben die Wirklichkeit oftmals nur bruchstückhaft. Sankt Thomas benutzt das Umstandswort divisim, das komplex ist und bei weitem die menschliche intellektuelle Fähigkeit überragt. Übrigens stammt von Thomas die geistesscharfe Bemerkung: "Kein Philosoph hat jemals das Wesentliche einer Fliege ausgeschöpft". Ganz im Gegenteil zu Gott, der alles in einem einzigen Verbum ausdrückt, "müssen wir unser Wissen bruchstückhaft und mit vielen und unvollkommenen Worten ausdrücken."(4)

2) Ein anderes, interessantes Phänomen, das selbst auch mit der Begrenzung unseres Wissens und unserer Sprache zusammenhängt, ist was wir "Sonnenblumeneffekt" nennen könnten. Dieser Effekt wird von Thomas folgendermaßen erläutert: "Da wir die wesentliche Prinzipien der Dinge ignorieren, beziehen sich unsere Erklärungen oftmals, um das Wesentliche zu beschreiben (das wir aber nicht treffen), auf bestimmte unwesentliche Gesichtspunkte."(5) So wird, z.B. jenes pflanzliche Wesen, das wir schlicht Sonnenblume nennen, genannt nach einem Hakenphänomen, und zwar des "Heliotropismus".

3) Daher kommt es auch (der Aquinate versäumte es nicht dies zu bemerken), daß oftmals der Haken, der Gesichtspunkt, der Weg, auf dem die Sprache Zugang zur Wirklichkeit bahnt, verschieden ist: derselbe Gegenstand, der mich vor Regenwasser schützt (Regenschirm) kann als Sonnenschirm (umbrella) dienen. Hieraus ergibt sich, daß "verschiedene Sprachen dieselbe Wirklichkeit auf verschiedene Weisen ausdrücken."(6)

 

Vielen Dank - Drei Niveaus der Dankbarkeit


Die Redewendung "Vielen Dank" umfaßt alleine drei verschiedene Grade der Dankbarkeit: wir können nicht zum Ausdruck bringen, was die Dinge sind, da wir nicht wissen, was sie sind. Außerdem betont ein Wort oftmals ursprünglich nur eine der vielen Gesichtspunkte die die betreffende Wirklichkeit anbietet. Und es kann geschehen, daß sich mit der Zeit die Wirklichkeit dermaßen verändert oder evoluiert, daß der Zusammenhang zu dem Besten Sinn eines Wortes (das aber unverändert bleibt) verloren geht.

Dies schockiert uns nicht einmal, denn im Alltagsgebrauch verlieren die Worte halt ihre Transparenz. Wir sagen z.B. "Fruchtsalat" und bemerken dabei gar nicht, daß das Wort "Salat" von dem Wort "Salz" abstammt. Dasselbe geschieht mit dem Wort "Metzgerei", wo man heutzutage keine Tiere mehr "metzelt", sondern nur fein säuberlich verpackt und verkauft. Auch in der "tinturaria" (portugiesisch), der Färberei, wird nicht mehr "gefärbt", sondern gewaschen. Der "Chauffeur" "heizt" nichts mehr, sondern fährt nur den Wagen. Wir würden nicht daran denken Herrn Schmidt mit einer Schmiede oder Frau Müller mit einer Getreidemühle in Verbindung zu bringen.

Derartige Ungereimtheiten sind uns nicht fremdartig, weil die Ausdruckskraft der Worte für uns verschwommen ist. Wir sagen "mutmaßlich", "Anmut" oder "Hochmut", und merken nicht mehr, daß diese Wörter von dem Wort "Mut" abstammen, also etwas zu tun haben mit Dingen wie "Tapferkeit", oder "Heldentat" (darum scheinen uns auf diesem semantischen Hintergrund Ausdrücke wie "vermuten" oder "mutwillig" eher unsinnig). All diese Vorbemerkungen sind wichtige Voraussetzungen für die Überlegungen über die "Dankbarkeit" und andere Ausdrucksformen aus dem Gebrauch verschiedener Sprachen.

Thomas von Aquin lehrte, daß die Dankbarkeit eine komplexe menschliche Wirklichkeit sei (daher ergibt sich auch die Tatsache, daß die in den verschiedenen Sprachen gebrauchten Ausdrucksformen jeweils nur ein Bruchstück der ganzen Bedeutung darstellt, also nur einen jener "Hakenaspekte"). Der Begriff "Dankbarkeit" setzt sich zusammen aus Teilbegriffen und verschiedenen Graden des Verständnisses. Zuerst finden wir das "Anerkennen" (ut recognoscat) des erhaltenen Gutes vor; der zweite Teilbegriff ist das Loben und die Danksagung (ut gratias agat); drittens gibt es den Aspekt der "Rückerstattung" (ut retribuat), einer Art Kompensation, soweit diese möglich ist in zeitlich und örtlich günstigen Umständen (II-II, 107, 2, c).

Diese scheinbar so einfache Lehre, kann unschwer festgestellt werden in den verschiedenen Ausdrucksformen derer die Sprachen sich bedienen um Dankbarkeit auszudrücken; wobei jede Sprache nur einen der vielfältigen Aspekte der Wirklichkeit des Dankes betont.

Einige Sprachen drücken die Dankbarkeit auf dem Niveau des ersten Grades aus: indem die "Anerkennung" des Begnadikten deutlich herausgestellt wird. Übrigens ist "Anerkennung" (wie etwa im Französischen "reconnaissance") eigentlich ein anderes Wort für Dankbarkeit. In diesem Zusammenhang ist es hochinteressant die Etymologie zu beachten: In der englischen Tradition stammen to thank (danken) und to think (denken) ursprünglich, und durchaus nicht zufällig, vom selben Ausdruck. Über die etymologischen Definition des to thank, liest man im Oxford English Dictionary ganz klar: "The primary sense was therefore thought"(7). Im deutschen ist ursprünglich das "Danken" ebenfalls ein "Denken".

Das alles ist ja schließlich auch sehr sinnvoll, weil, wie jeder weiß, daß nur der dankbar ist, der wirklich denkt. Man ist nur dann dankbar, wenn man die Freiheit des Wohltäters erwägt, bedenkt, und ernsthaft unter Betracht zieht. Wenn dieses Bedenken nicht geschieht, kommt es (bei dem Wohltäter) zu der absolut gerechtfertigten Beschwerde: "Was für eine Gedankenlosigkeit (Undankbarkeit, Gleichgültigkeit)!"(8)

Daran liegt es auch, daß Sankt Thomas - indem er darauf hinweist, daß das absolut negative, die Verneinung des niedrigsten positiven Grades ist (die letzte Einfahrt rechts, ist für den, der von der entgegengesetzten Richtung kommt, die erste Einfahrt links...) - behauptet, daß die Gedankenlosigkeit (Rücksichtslosigkeit), das Ignorieren, die höchste Undankbarkeit(9) zu bedeuten hat: "jener Kranke, der seine eigene Krankheit nicht in Rücksicht nimmt, möcht im Grunde gar nicht geheilt werden".(10)

Der Arabische Dankbarkeitsausdruck Shukran, shukran jazylan! befindet sich unmittelbar in jenem zweiten Niveau, des Lobes gegenüber einem Wohltäter und einer erhaltenen Gabe.

Andererseits heißt die lateinische, relativ komplexe, Dankbarkeitsform gratias ago, die wir im Italienischen und Spanischen als "grazie" und "gracias" wiederfinden. Sankt Thomas behauptet ( I-II, 110, 1) daß der Kernbegriff der "Gunst" oder "Gnade" drei Dimensionen einschließt:

1) "Gnade erhalten oder begnadigt zu werden"; "Gefallen" oder "Liebe eines anderen finden"; der uns etwas Gutes tut;

2) "Gnade" deutet auf eine Gabe hin, etwas nicht verdientes, umsonst gegebenes, ohne irgendein Verdienst des Begnadigten.

3) Die Rückvergütung oder "Begnadigung" von Seiten des Begnadigten.

Im Traktat De Malo (9,1), wird eine vierte Sinngebung angeführt: gratias agere - das Lob; wer daran glaubt, daß das erhaltene Gute von einem anderen kommt, soll loben.

Von der oben aufgeführten Übersicht - der Dankbarkeitsausdrücke auf englisch, deutsch, französisch, spanisch, italienisch, lateinisch und arabisch - hebt sich der ungemein tiefgründige Charakter der Portugiesischen Redewendung "obrigado" ab. Diese warmherzige Form ist die einzige, die ganz klar in die Art der Dankbarkeit , auf die sich Sankt Thomas bezieht (die vom dritten Niveau also), verfällt: die des tiefsten Gebundenseins (ob-ligatus), der Verpflichtung, der Pflicht dem Anderen rückzuvergüten.

Somit können wir auch den Reichtum unter Betracht ziehen, der sich in der japanischen Dankesformel(11) verbirgt. "Arigatô" enthält ursprünglich folgenden Sinn: "Existieren ist nicht einfach", "Das Leben ist hart", "Einmalig", "Vorzüglich (einmalige Vorzüglichkeit)".

Die zwei letzten o.g. Sinne sind verständlich: in einer Welt, in der die allgemeine Tendenz ist, daß alles nur an sich denkt; wo sich die Verhältnisse, wenn überhaupt, von der strikten und unpersönlichen Rechtsprechung regulieren lassen; treten die Qualitätsbezeichnungen Vorzüglichkeit und Einmaligkeit als Charakteristika der Gabe deutlich hervor. Andererseits hat: "Existieren ist nicht einfach" und "Das Leben ist hart", auf dem ersten Blick, nichts mit Dankbarkeit zu tun. Doch Sankt Thomas lehrt uns (II-II, 106, 6), daß die Dankbarkeit - wenigstens im Vorhaben – die erhaltene Gabe übertreffen soll. Und daß es Verschuldungen gibt, die von Natur aus unbezahlbar sind: sowohl von einem Menschen dem anderen, seinen Wohltäter, gegenüber, als auch und besonders Gott gegenüber: "Wie soll ich dem Herrn vergelten – lesen wir im Psalm 115 – all seine Wohltat, die er an mir tut?"

Solche Situationen, der unbezahlbaren Schuld – die so häufig bei denen, die ein Gefühl für Gerechtigkeit haben, auftritt –empfindet der dankbare Mensch als peinlich und tut alles mögliche (quidquid potest), bis er schließlich ans excessum, das sich immerzu Ungenügen weiß, anlangt (cfr. III, 85, 3 ad 2).(12)

Arigatô weist also hin auf das dritte Niveau der Dankbarkeit, das die Besinnung dessen bedeutet, wie schwer es sein kann, zu existieren (von dem Moment an, da man einen Gefallen erhalten hat, und zwar unverdienterweise und, und daher, eine Rückvergütung schuldig ist, die niemals beglichen werden kann...).

 

Gibt es dafür andere Worte?


Sankt Thomas ist sehr streng im Umgang mit dem Wort "Synonym": seiner Ansicht nach sind nur die Worte Synonyme, die absolut gleichwertigen Sinn haben, d.h., die nicht nur eine und dieselbe Wirklichkeit anzeigen (res), aber auch denselben Gesichtspunkt, dieselbe ratio. Er sagt, z.B. in Contra Gentiles: "Obwohl diese Worte dieselbe Wirklichkeit meinen, sind es keine Synonyme, weil sie diese nicht unter denselben Gesichtspunkt ins Auge fassen."(13)

So sind also zwei (oder mehrere) Worte Synonyme wenn (und nur wenn...) sie in jedem Text ausgetauscht werden können, ohne irgendeine Sinnesänderung: das von ihm im I Sent. gegebene Beispiel is tunica, vestis und indumentum. Was auch immer man unter tunica versteht (oder auch nicht versteht), wird gleichermaßen auch unter vestis(14) verstanden (oder auch nicht verstanden). Es ist so ähnlich wie wenn wir "ein halbes Dutzend" durch "sechs" ersetzen...

Heutzutage genehmigen wir es, mit weniger Präzision, gerade die Worte als Synonyme gelten zu lassen – obgleich unter verschiedenen Titeln oder Betonungen – die auf eine selbe Wirklichkeit hinweisen. So heißt im Wörterbuch "Aurélio" Synonym: "ein Wort das fast (sic) denselben Sinn hat wie ein anderes". Andererseits, drückt sich der Larousse deutlicher aus: "mots qui se présentent dans la langue avec des sens très proches et qui se différencient entre eux par une nuance (trait particulier)". Aber im Oxford werden zwei Sinne aufgeführt und auseinandergesetzt: "Synonym - 1. Strictly, a word having the same sense as another (in the same language); but more usually (unser kursiv), either or any of two or more words (in the same language) having the same general sense, but possessing each of them meanings which are not shared by the other or others, or having different shades of meaning (unser kursiv) or implications appropriate to different contexts: e.g. serpent, snake; ship, vessel etc."

Nach Thomas' Auffassung, können sich, wie gesagt, ganz im Gegenteil, zwei Worte auf die eine und dieselbe Wirklichkeit beziehen und doch keine Synonyme sein: weil nämlich ihre rationes anders sind. Dies ist beispielsweise der Fall der vielen Namen, mit denen wir Gott oder seine Eigenschaften benennen (Kreator, Allmächtiger, das Gute, die Gerechtigkeit, usw.): alle stoßen auf dieselbe Wirklichkeit, sind aber keine Synonyme.(15)

Wie dem auch sei sind aus dem methodologischen Standpunkt für den Philosophen zwei Punkte besonders Interessant:

1) die Suche nach den Zusammenhängen mit der Umgangssprache, in denen ein Wort nicht – ohne Sinnesänderung – durch ein Synonym ersetzt werden kann: dies ist ein vielversprechendes Verfahren, um die Wirklichkeit auf die sich das Vokabel bezieht zu verstehen.

2) Der zweite hervorzuhebende Punkt ist die Tatsache, daß jedes "Synonym" seine ratio hat, und weist immer auf einen bestimmten, speziellen Gesichtspunkt einer selben Wirklichkeit hin: wie wenn beispielsweise die Rede von "Haus", "Daheim", "Domizil" ("Wohnort"), oder "Residenz" ("Wohnsitz") ist.

An und für sich beziehen sich diese Worte auf das eine und dasselbe Gebäude – der Straße so und so, Nummer so -, aber niemand sagt: "Domizil, sweet Domizil", noch wird der Bürgermeister Steuern einnehmen über unser "Heim", usw.(16)

Diese Vielfalt von Redewendungen um die gleiche res befindet sich in Thomas Analyse über die Liebe.

 

"Mein teurer Freund"


Die Reichhaltigkeit (und Präzision) des lebendigen Vokabels für ein bestimmtes Thema in einer Sprache zeigt das lebenswichtige Interesse der Ansprechpartner um dieses Thema. In diesem Sinn ist z.B. der mit dem Fußball zusammenhängende brasilianische Wortschatz bemerkenswert detailliert, in dem der sprachlichen Beschluß so weit kommt zu unterscheiden - für verschiedenartigen Scherenschläge - zwischen: bicicleta (Scherenschlag), meia-bicicleta (halber Scherenschlag), puxeta (Fallrückzieher), voleio (Fallrückzieher mit Finte)!

Auf gleicher Weise führt Thomas Unterschiede, von höchster antropologisch-philosophischen Bedeutung, zwischen etlichen "Synonyme" der Liebe im Latein auf. Also, mit der Behauptung (in I Sent. d.10, q.1, a. 5, ex), daß der Heilige Geist Liebe oder caritas oder dilectio des Vaters und des Sohnes ist, stellt er fest, daß Liebe ganz einfach die zarte Zuneigung gegenüber des Geliebten ist, während dilectio (die Etymologie selbst sagt es) eine Wahl voraussetzt und daher, vernünftig (rationell) ist. Andererseits betont caritas, der besondere Gegenstand zu diesem Thema, die Heftigkeit der Liebe (dilectio), so lange wir den Geliebten unermeßlich Preiswert halten ("inquantum dilectum sub inaestimabili pretio habetur"); im selben Sinn, in dem wir sagen, daß die Dinge (Preise, Einkäufe) teuer sind ("secundum quod res multi pretii carae dicuntur").

Hieraus ergibt sich eine eindrucksvolle und sehr anregende Tatsache. Es ist kein Zufall, daß man auch in anderen Sprachen ein und dasselbe Wort anwendet, um zu sagen: "mein teurer Freund" und "die Bohnen sind teuer" ("my dear friend", "beans are too dear"; "mon cher ami" und "les haricots sont trop cher").

Ein mittelalterlicher Realist ist absolut nicht schockiert wenn das Wort "caritas" gewählt wird, um Gottes Liebe zu benennen (und die Liebe zum Nächsten, um Gottes Willen), dasselbe wie das vorchristliche Wort für Geld oder Preis: Caritas, die Liebe zum Geliebten, drängt Thomas, weist auf das (das Ding, ein Gegenstand) hin, was wir von unermeßlichem Wert halten, als teuerstes: "Caritas dicitur, eo quod sub inaestimabili pretio, quasi carissimam rem, ponat amatum caritas" (In III Sent. d.27, q.2, a.1, ag7).

Wenn wir also sagen "mein teurer Freund" oder "teuerster sound-so", bedienen wir uns der Metapher des Preises (daher preisen, preisgeben, preiswert usw.), der Einschätzung und Bewertung.

In derselben Linie ist die arabische Höflichkeitsform einzuordnen, einem Freund, der eine Bitte an uns wendet, gegenüber:

"Anta gally wa talibuka rakhiz" (Du bist mir teuer, deine Bitte ist billig).

Und wenn wir daran denken, daß Christus das Reich Gottes mit einem Schatz vergleicht, das ein Mann in der Wüste findet oder mit einem Händler der Edelsteine sucht und zur Erwerbung dieses Gutes alles andere verkaufen muß, werden wir nicht überrascht sein zu wissen, daß caritas ein anderes Wort ist für hoch geschätzte Güter.

 

"Gratuliere"


Jetzt wollen wir uns einer anderen Situation unseres Alltags zuwenden, nämlich die des Glückwunsches, indem wir versuchen, den ursprünglichen Sinn des Gratulierens wiederzufinden. Nach dem mittelalterlichen Gebrauch, werden wir auf die Etymologie achten.

Wenn wir die protokollare Bereiche des Formellen und der Bräuche des Gratulierens, wie die des portugiesischen "Parabéns" transzendieren (ebenso seine Zwillingsbrüder in anderen Sprachen: das spanische Enhorabuena!, das englische Congratulations!, das italienische Auguri!), erkennen wir, daß sie verschiedene und komplementäre Anzeichen des Rätsels des Daseins und des menschlichen Herzens in sich tragen.

Was bedeuten diese Formen genauer gesagt? Was genauer gesagt meint man, wenn man jemandem "gratuliert" oder "glückwünscht", usw.? All diese Ausdrücke tragen in sich eine tiefe Bedeutung, die, sozusagen, dem "bloßen Auge" unsichtbar sind.

Fangen wir bei der spanischen Form an: Enhorabuena! heißt buchstäblich "in guter Stunde". Enhorabuena weist daraufhin daß sich ein bestimmter Weg (die Jahre des Studiums, die sich in den Absolventen entfalteten, die harte Arbeit die hinter der Gründung eines neuen Betriebs steckt, usw.) in dem Moment, in dem man gratuliert und Glück wünscht, ans Ziel gelangt ist: dies ist die Stunde, enhorabuena!

Eben die Tatsache, daß es der Moment der Vollendung ist, wandelt sie in eine gute Stunde. Die Tradition der Alten spricht über "die Zeit eines jeden", über "gute und schlechte Zeiten". Aber die gute Stunde, die beste Zeit ist die der Vollendung des Vollzugs eines Werkes, des Ankommens ans Ziel, die Zeit des Endens, die besser ist als die, des Anfangens: "Melior est finis quam principium" (Prediger 7,8), sagt selbst die göttliche Weisheit.

Andererseits, drückt die englische Form, die auch im Deutschen und andere Sprachen vorkommt, congratulations, die mitgeteilte Freude über das Wohl des Anderen, mit dem wir uns mit-gratulieren, d.h. mit-freuen (to con-gratulate) aus.

Diese Gemeinschaft in der Freude wird uns auch durch die deponierte Form der lateinischen Verben gratulor e congratulor nahegelegt. Die deponierte Form zeigt uns, daß die im Verb beschriebene Handlung weder aktiv, noch passiv ist: sondern ist sie eine Handlung die von dem Subjekt durchgeführt wird, und die sich auf ihn selbst auswirkt. Das heißt, in diesem Fall, daß die Freude, die wir zum Ausdruck bringen, wenn wir jemandem gratulieren, an und für sich unsere eigene ist.

Das arabische mabruk erinnert uns an den Charakter des Segens dieser Gabe, wegen der wir jemanden gratulieren.

Durch die portugiesische, warmherzige Form des "Parabéns!" drücken wir gerade dies aus: den Wunsch, daß das erworbene Glück, daß das angelangte Ziel "zum Besten" Nutz kommt. Denn, jedes erhaltene Wohl (die Gabe des Lebens, des Geldes oder dem Erwerb eines Diploms) kann, wie jeder weiß, "fürs Gute" oder "Böse" benutzt werden.

Das italienische auguri, auguri tanti! besagt (oder nimmt es zum Anlaß), daß dieses gefeierte Gute nur eine Ankündigung, eine Vorbildung, ein Vorbote ist, von anderen noch größeren Gütern, die vor uns liegen.

 

"Mein Beileid"


"Carregava uma tristeza..." ("Ich trage eine Trauer"), sagt ein alter Samba von Paulinho da Viola: die Trauer ist natürlich eine Last, die zu lange andauert, daher "bedauern" wir...! Um die Last der Wehmut, der Trauer tragen können ist nichts besser – belehrt uns Thomas von Aquin – als die Hilfe der Freunde: "denn die Pein ist wie eine schwere Last, die leichter zu tragen ist, wenn sie mit anderen geteilt wird: daher ist die Anwesenheit der Freunde so willkommen in den Momenten des Schmerzes"(17).

Es versteht sich also unmittelbar, daß der portugiesische (und spanische usw.) Ausdruck des Beileids ("Mitgefühl"): "pêsames" buchstäblich so viel heißt wie: es ist mir schwer ("ich helfe dir, die Last dieser deiner Trauer mitzutragen").

 

"Pardon"


"Perdonare" ist eine spätere Form, die nicht von Thomas kommt. Das entsprechende und üblich von ihm gebrauchte Wort ist parcere. Dennoch finden wir in Thomas von Aquin all die philosophischen Gründe, die die Etymologie der modernen portugiesischen Redewendungen rechtfertigen: "perdoar", "perdão", "perdonar", "pardon", "pardonner" usw.

Die Vorsilbe per sammelt die Sinne von "durch" ("durch etwas") und Vollkommenheit, des maximalen Grades: Wie z.B. Pervers (ganz übel), Perfekt (Vollkommen), Permanganat usw. Und so zeigt sich "perdão" (Vergeben) als die Superlative Form der Hingabe. Dasselbe passiert mit den englischen und deutschen Redewendungen: for-give, ver-geben.

Wie denkt der Aquinate über das Thema des Vergebens und wie bezieht er es zu der maximalen Hingabe? Man muß hier biblische und liturgische Einflüsse erwähnen. In der Liturgie ist Thomas besonders beeindruckt von dem Gebet, das er öfters zitiert(18), von der Messe des Gottesdienstes von dem X Sonntag nach Pfingsten (der, bis heute erhalten bleibt im XXVI Sonntag der ordinären Zeit), der sagt: "Deus qui omnipotentiam tuam parcendo maxime manifestas" ("Gott, der Du deine Vollmacht offenbarst, besonders im Vergeben..."). Und er behauptet, daß die Vergebung Gottes eine höhere Macht bedeutet als die, die Himmel und Erde schuf (II-II, 113, 9, sc).

Auf der anderen Seite liest er in der lateinischen Übersetzung des Briefes an die Epheser "Seid aber untereinander freundlich und herzlich und gebt einer dem anderen, wie auch Gott euch geben hat in Christus" (Eph 4,32).(19) Und in 2 Kor 2, 10 "Denn auch ich habe, wenn ich etwas zu geben habe, es vergeben um eure willen vor Christi Angesicht, usw."(20) Eines ist sich Thomas sicher: die Hingabe bedeutet, par Exzellenz, weder Geld noch Zeitopfer, noch irgend etwas anderes als Vergebungen. (21)

Und er schließt, mit seiner üblichen Nüchternheit, mit id est "Donate, id est parcite" (Super II ad Cor. cp 12, lc 4) e "Donantes, id est parcentes" (Super ad Coloss. cp 3 lc 3).


1. "Nisi enim nomen scieris, cognitio rerum perit" (Et. 1, 7,1) und " Nam dum videris unde ortum est nomen, citius vim eis intellegis" (Et. 1,29,2).

2. Erziehung versteht sich hier natürlich im eigentlichen Sinn und nicht als "gute oder schlechte Erziehung", im Sinne der Einhaltung von Umgangsregeln.

3. Cf. "Educação e Memória" in Lauand, Medievália, São Paulo, Hottopos, 1996.

4. "Quia enim nos non possumus omnes nostras conceptiones uno verbo exprimere, ideo oportet quod plura verba imperfecta formemus, per quae divisim exprimamus omnia, quae in scientia nostra sunt" (Super Ev. Io. Cp 1, lc1).

5. "Et quia essentialia principia sunt nobis ignota, frequenter ponimus in definitionibus aliquid accidentale, ad significandum aliquid essentiale" (In I Sent. ds25 q 1, a 1, r 8).

6. "Diversae linguae habent diversum modum loquendi" (I, 39, 3 ad 2).

7. Ich zittiere die Hypertextedition auf CD-Rom des Oxford Englisch Dictionnary, 2nd. ed. on CD-Rom, 1994.

8. Schon Seneca - der von Sankt Thomas in II-II, 106, 3 ad 4 zitiert wurde - sagte, daß es keine Dankbarkeit geben kann, es sei dem für das, was das strikt angemessen übersteigt, " ultra debitum". Ministerium tuum est! ("Du hast nicht mehr als deine Schuldikeit getan") und andere, in diesem Sinne, sind, wie man sieht schon sehr alte Formen.

9. "Est gravissimum inter species ingratitudinis, cum scilicet homo beneficium non recognoscit" (In II Sent. d.22 q.2 a.2 r.1).

10. "Quia dum morbum non cognoscit, medicinam non quaerit", ibidem.

11. Ich bin der Prof. Frau Chie Hirose für die Bemerkungen über den Ausdruck Arigatô der japanischen Sprache verbunden.

12.Von dieser Begrenzung von dem der weiß, daß er keine starke Währung besitzt, kommt die Zuwendung zu Gott, die Asudrücke wie "Gott erstatte es dir" übersenden, welche natürlich mitsagen möchten, daß ein armer Kerl wie ich nicht Imstande ist, es zu tun...

13. "Quamvis nomina dicta eandem rem significent, non tamen sunt synonyma: quia non significant rationem eandem" (CG I, 35, 1).

14. "Sicut patet etiam in synonimis; tunica enim et vestis eamdem rem significant, tamen nomina sunt diversa; et similiter indumentum. Unde affirmationes et negationes quae pertinent ad rem, non possunt verificari, ut dicatur: tunica est alba, indumentum non est album" (In I Sent. d. 34, q.1, a.1, r.2)

15."Ostenditur etiam ex dictis quod, quamvis nomina de Deo dicta eandem rem significent, non tamen sunt synonyma: quia non significant rationem eandem" CG I, 35, 1. Oder "Cum non secundum eandem rationem attribuantur, constat ea non esse synonyma, quamvis rem omnino unam significent: non enim est eadem nominis significatio, cum nomen per prius conceptionem intellectus quam rem intellectam significet" CG I, 35, 2.

16. Obwohl es natürlich Fälle gibt, in denen der Ersatzt von einem dieser Worte durch ein anderes legitim ist, oder die Benutzung des einen oder anderen aufs Gleiche rauskommt: sie sind ja letztenendlich Synonyme!

17. "Quod tristitia est sicut onus grave quod quanto plures transsumunt fit levius ad portandum et sic presentia amici delectabilis" (Tabula libri Ethicorum, cpt).

18. Wie zum Beispiel in II-II, 113 9, sc und In IV Sent. d. 46, q. 2, a. 1, cag 1.

19. "Estote autem invicem benigni misericordes donantes invicem sicut et Deus in Christo donavit nobis".

20. "Cui autem aliquid donatis et ego nam et ego quod donavi si quid donavi propter vos in persona Christi".

21. "Hingabe ist hier im Sinne von Vergeben gemeint." Super II ad Cor. cp 12, lc 4.