Der Streit um die Renaissance im 12. Jahrhundert - Eine Gesellschaft im Spannungsfeld zwischen Humanismus, Wissenschaft und Religiosität*

 

Alexander Fidora & Andreas Niederberger
J. W. Goethe - Universität Frankfurt am Main -
"Sonderforschungsbereich Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel"

 

I. Renaissance als polemischer Begriff

            Auch heute noch werden die meisten Leser wahrscheinlich erstaunt blicken, wenn sie im Titel eines Artikels die Epochenbezeichnung der Renaissance in Zusammenhang mit dem 12. Jahrhundert vernehmen. Nennen wir doch auf dem Hintergrund der Arbeiten der Humanisten des 19. Jahrhunderts und allen voran Jacob Burckhardts den Zeitraum des ausgehenden vierzehnten bis zum Ende des sechzehnten Jahrhunderts ,Renaissance’ – was hat es also mit dieser seltsamen Epochenverschie-bung auf sich? Reklamiert hier nicht die Mediävistik Eigenschaften für ihren Gegenstand, die diesem zurecht abgesprochen wurden? Und was hat es schließlich mit dem Streit um diese Renaissance auf sich?

            Beginnen wir mit der Frage nach der Verschiebung der Epoche der Renaissance, so ist diese nicht nur nicht unsere Erfindung, sondern sie wirft aufgrund ihres vereinfachenden Charakters auch diverse Probleme der Angemessenheit der Darstellung auf, aber das Operieren mit ihr eignet sich dennoch recht gut, um Züge eines Jahrhunderts hervorzuheben, das zeitlich und mental sehr weit entfernt zu sein scheint und uns doch vielleicht näher steht, als es ‚Die Renaissance’ und ihre neuzeitlichen Verteidiger erscheinen lassen wollen. Spätestens Charles Homer Haskins machte mit seinem berühmten Buch The Renaissance of the Twelfth Century im Jahre 1927 deutlich, dass die Schar der Forscher, die zum Mittelalter arbeiten, es sich nicht länger bieten lassen wollte, ihr Forschungsobjekt nur im Licht der so viel glorreicheren italienischen Renaissance erscheinen zu sehen. Mit dem Bewusstsein der Provokation schreibt er deshalb im Vorwort:

„Für viele wird es den Anschein haben, dass der Titel dieses Buches einen krassen Widerspruch enthält. Eine Renaissance im zwölften Jahrhundert! Steht das Mittelalter, dieses Zeitalter des Nichtwissens, der Stagnation und der Düsterkeit nicht in schärfstem Gegensatz zu dem Licht, dem Fortschritt und der Freiheit der italienischen Renaissance, die ihm folgte? Wie konnte es eine Renaissance im Mittelalter geben, wenn die Menschen in dieser Zeit kein Auge für die Freude und Schönheit oder das Wissen dieser vergänglichen Welt hatten, sondern ihren Blick starr auf die Grauen der kommenden Welt richteten?”[1]

            Es wird sich gleich erweisen, wie berechtigt diese ironisierende Darstellung der zumindest bis zum Zeitpunkt der Publikation dieses Buches gängigen Vorstellung vom Mittelalter war. Haskins setzt ihr seine Beschreibung dieser Epoche entgegen, die diejenige

„[...] der Kreuzzüge, des Aufstiegs der Städte und der frühesten bürokratischen Staaten des Westens war, sie sah den Höhepunkt der romanischen Kunst und die Anfänge der Gotik, das Aufkommen der volkssprachlichen Literaturen, die Wiederbelebung der lateinischen Klassiker und der lateinischen Dichtung sowie des römischen Rechts, die Wiederentdeckung der griechischen Wissenschaft mit ihren arabischen Ergänzungen und weiter Teile der griechischen Philosophie, schließlich den Beginn der ersten europäischen Universitäten. Das zwölfte Jahrhundert hinterließ seine Signatur auf der höheren Bildung, auf der scholastischen Philosophie, auf dem europäischen Rechtssystem, auf Architektur und Skulptur, auf dem liturgischen Drama und auf der lateinischen und volkssprachlichen Dichtung.”[2]

            Natürlich konnte dieses Umfunktionieren eines der zentralen Begriffe der Kulturgeschichtsschreibung nicht unwidersprochen bleiben, denn nicht nur die Verteidiger der bisherigen Renaissance wandten sich gegen die in ihren Augen unzulässige Übertragung, sondern auch andere Mediävisten bezweifelten den Sinn dieses Unternehmens; diente er doch einer spezifischen Konturierung des zwölften Jahrhunderts, die in dieser Weise vielleicht nicht gerechtfertigt ist.[3]

            Stellungnehmen zu diesen Streitigkeiten kann natürlich nur, wer sich zuvor mit den Ereignissen und Leistungen des zwölften Jahrhunderts überhaupt sowie seiner zentralen kulturell-intellektuellen Figuren im besonderen auseinandergesetzt hat. Deshalb wird dies hier auch für den Schluss vorbehalten bleiben. Vor aller Betrachtung des 12. Jahrhunderts mit Blick auf eine mögliche Verwendbarkeit des Begriffs der Renaissance ist allerdings zu klären, was genau gemeint ist, wenn irgendeine Epoche als ,Renaissance’ bezeichnet wird. Ist damit mehr gesagt, als dass es in der betreffenden Gesellschaft zu einem Aufbruch kommt und eine Entwicklung stattfindet? Was wird hier ‚wiedergeboren’?

            Wie bereits bemerkt, ist der Begriff der ,Renaissance’ erst im 19. Jahrhundert zu wahrhaftiger Popularität gelangt. Jacob Burckhardts Buch Die Kultur der Renaissance in Italien aus dem Jahre 1860 muss sicherlich als ein Meilenstein der Begriffsbestimmung betrachtet werden und seine Äußerungen eignen sich vorzüglich, um zu einer ersten Präzisierung dessen zu kommen, was mit dem Ausdruck der ,Renaissance’ gemeint ist. Burckhardt schreibt:

„Im Mittelalter lagen die beiden Seiten des Bewußtseins – nach der Welt hin und nach dem Innern des Menschen selbst – wie unter einem gemeinsamen Schleier träumend oder halbwach. Der Schleier war gewoben aus Glauben, Kindheitsbefangenheit und Wahn; durch ihn hindurchgesehen erschienen Welt und Geschichte nur wundersam gefärbt, der Mensch aber erkannte sich nur als Race, Volk, Partei, Korporation, Familie oder sonst in irgend einer Form des Allgemeinen. [– Hier ist nun nicht nur deutlich das Bild des Mittelalters zu sehen, gegen das sich Haskins abgrenzt, sondern auch der Bezug zur Gegenwart des 19. Jahrhunderts ist unübersehbar. –] In Italien zuerst verweht dieser Schleier in die Lüfte; es erwacht eine objektive Betrachtung und Behandlung des Staates und der sämtlichen Dinge dieser Welt überhaupt; daneben aber erhebt sich mit voller Macht das Subjektive; der Mensch wird geistiges Individuum und erkennt sich als solches.”[4]

            Das nächste Kapitel des Buches beginnt dann mit dem Satz:

„Auf diesem Punkte unserer kulturgeschichtlichen Übersicht angelangt, müssen wir des Altertums gedenken, dessen ‚Wiedergeburt’ in einseitiger Weise zum Gesamtnamen des Zeitraums überhaupt geworden ist.”[5]

            Auf dem Hintergrund dieser Passagen lassen sich drei Kriterien identifizieren, nach denen von Renaissance zu reden ist:

            Erstens die namengebende Wiederentdeckung, Wiederaufnahme oder ‚Wiedergeburt’ der Autoren der Antike. Zweitens die Entwicklung einer Betrachtungsweise der Dinge dieser Welt, die diese als solche ernst nimmt und einen ‚objektiven’ Blick auf sie entwickelt. Drittens schließlich die Entdeckung des Individuums, d.h. des einzelnen Menschen in seiner geistigen und körperlichen Unverwechselbarkeit, wobei Burckhardt die zusätzliche Behauptung aufstellt, dass es einen Zusammenhang zwischen den letzten beiden Punkten gibt. Die These jedes Wissenschaftlers, der positiv mit dem Begriff der Renaissance arbeitet, wird es also sein, dass sich diese drei Elemente der Wiederbelebung der klassischen Bildung, der Entwicklung von Wissenschaft sowie der Ausbildung von Subjektivität und Individualität in der von ihm analysierten Epoche finden lassen. Mit den drei Begriffen Humanismus, Wissenschaft und Religiosität im Untertitel unseres Artikels haben wir die Orte ausgemacht, an denen die Verteidiger einer Renaissance des 12. Jahrhunderts ihre Argumente festmachen. Das Ziel unserer Ausführungen wird es daher sein aufzuzeigen, wie und ob es mit diesen drei Schlagworten und dem von ihnen Gemeinten gerechtfertigt sein kann, von einer ,Renaissance des zwölften Jahrhunderts’ zu reden.

            Unsere Vorgehensweise wird dabei die folgende sein: Zunächst wird in vier Punkten das zwölfte Jahrhundert ökonomisch, politisch und kirchlich charakterisiert sowie ein Blick auf die Bildungseinrichtungen geworfen, um den Hintergrund der Figuren und Texte zu umreißen, die für die vorliegende Fragestellung von Interesse sind.[6] Dann wird mit einer an zwei Personen orientierten Analyse des Selbstverständnisses und der Leistungen der „Intellektuellen”[7] dieses Zeitalters fortgefahren, um schließlich mit einigen zusammenfassenden Überlegungen zur Bedeutung des zwölften Jahrhunderts für die Geschichte überhaupt und für die Geschichte des westlichen Denkens im besonderen zu enden, womit wir dann auch eine Antwort auf den Streit um die Renaissance im 12. Jahrhundert wagen können. Unsere Vorgehensweise bleibt dabei grundsätzlich auf den Raum des heutigen Frankreichs beschränkt, es wird also keine Aussagen zu parallelen oder ganz anderen Entwicklungen beispielsweise in Deutschland gesagt werden.

II. Die historische Situation des 12. Jahrhunderts

1. Ökonomische Voraussetzungen

            Kein Historiker kommt heute daran vorbei, in den ökonomischen Voraussetzungen einer Epoche wichtige Grundlagen für deren Ereignisse zu sehen; das heißt natürlich nicht, dass die Ereignisse und vor allem die intellektuellen Ereignisse unmittelbar aus den wirtschaftlichen Verhältnissen heraus zu erklären sind. Das zwölfte Jahrhundert ist trotz der großen Bedeutung einer ländlichen Klosterbewegung, auf die wir später zu sprechen kommen, das Jahrhundert der Städte.[8] Nach der Jahrtausendwende kam es im elften Jahrhundert zu einer allmählichen Beruhigung der Verhältnisse und zu einer Verringerung der Übergriffe marodierender Ritter auf die Landbevölkerung. Dies hatte ein bedeutendes Wachstum der Produktivität und damit auch der produzierten Güter zur Folge, wovon zunächst die Bauern selbst profitierten, die nun größere Familien ernähren konnten, was zu einem deutlichen Bevölkerungswachstum führte, oder dies zur eigenen Akkumulation von Kapital nutzten und sich von ihren Lehnsherren freikaufen konnten. Andererseits zogen aber vor allem die kirchlichen und weltlichen Herren aus den höheren Abgaben, die aus der wachsenden Produktion resultierten, ihren Gewinn.

            Diese steigenden Einkünfte waren für die Entwicklung der Städte von zentraler Bedeutung, denn sowohl die weltlichen als auch die kirchlichen Herren investierten ihre Gewinne direkt in den Städten oder in Unternehmungen, die ohne Unterstützung der städtischen Bevölkerung nicht auszuführen waren. So schuf der Bau von Kathedralen, Kirchen und Bischofssitzen für viele Jahre Arbeit in den Städten und führte zur Konzentration spezifischer Wissensformen und praktischer Kenntnisse in den Städten. Denn zusammen mit dem technischen Fortschritt dieser Zeit – heute noch zu beobachten beim Wandel der Fertigkeiten, die für das Erbauen romanischer und gotischer Gebäude von Nöten sind – hatten diese Arbeiten die Ausbildung neuer Berufe mit eigenen Fähigkeiten zur Folge. Eine allgemeine Spezialisierung setzte aber nicht nur in den Städten ein, sondern auch auf dem Land konzentrierten sich die Bauern zunehmend auf einzelne Bereiche der Produktion und erwarben dafür notwendige Gerätschaften.

            Noch wichtiger für die Städte – und dies ist nun einer der Punkte, an dem es direkt zu einem Kontakt zwischen ökonomischer und geistiger Entwicklung kommt – war die Intensivierung des Handels und des Verkehrs. Die Städte wurden zu Zentren des Warenaustauschs und der Kommunikation; sie bildeten die Zielpunkte der wachsenden Mobilität der gesamten Bevölkerung, die unterstützt wurde durch die zunehmende Sicherheit und den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur. Diese Mobilität ist eine zentrale Voraussetzung für die Entwicklung der Schulen, die wiederum der Träger der intellektuellen Prozesse des zwölften Jahrhunderts sind.

            Viele weitere Aspekte der ökonomischen Situation dieses Jahrhunderts wären auf ihre Relevanz für die vorliegende Fragestellung hin zu befragen, wobei es vor allem darum gehen müsste, ein wenig mehr Licht auf die Ungleichzeitigkeit zwischen ländlicher und städtischer Entwicklung zu werfen, die wiederum im Zusammenhang mit dem Übergang der Verortung des Bildungswesens von den Klosterschulen zu den Kathedralschulen steht. Hier soll dieser Abschnitt aber mit einem Blick auf eine wichtige Vereinheitlichungstendenz abgeschlossen werden, die sich auch in anderen Bereichen spiegelt und ein zentrales Charakteristikum der Tendenzen des 12. Jahrhunderts darstellt: Der zunehmende Austausch – auch über weite Distanzen hinweg – macht es notwendig, dass es entweder zu einer Vereinheitlichung des Geldes kommt oder aber zumindest zu festgelegten Umrechnungen zwischen den Währungen der einzelnen Städte oder Regionen. In der ersten Hälfte des zwölften Jahrhunderts entstehen Vorgaben, mit denen Umrechnungen vorzunehmen sind, während es dann in der zweiten Hälfte zur allmählichen Durchsetzung einer einheitlichen Währung kommt. Gerade weil solche Festlegungen Inflationen in einzelnen Regionen zur Folge hatten, bleibt zu konstatieren, dass solche Vereinheitlichungen zu Verschränkungen des Handlungsraumes führten, die wechselseitige Abhängigkeiten erkennen ließen und damit direkte Konsequenzen für die allgemeine politische, rechtliche und gesellschaftliche Lage hatten. Dazu soll nun etwas gesagt werden.

2. Politik, Recht und Gesellschaft

            Oberflächlich betrachtet kennzeichnen politisch sicherlich vor allem die Kreuzzüge das zwölfte Jahrhundert. Nach dem ersten Kreuzzug von 1096 folgen 1101, 1128 und 1197 drei weitere in diesem Jahrhundert.[9] Der allgemeine und direkte Einfluss der Kreuzzüge ist allerdings zumeist überschätzt worden und das Resultat einer Geschichtsschreibung, die sich mehr an den großen politischen Akteuren und ebensolchen Ereignissen orientiert. Heute sehen wir, dass die Kreuzzüge bestehende ökonomische und politische Tendenzen bloß verstärkten oder ihnen einen anderen Ausdruck verschafften – und deshalb nicht eigentlich deren Ursache sind. Ihre Bedeutung liegt vielmehr in ihren indirekten Konsequenzen, die sie für die westliche Zivilisation durch die Herstellung des Kontakts mit den arabisch-jüdischen Wissenschaften hatten. Dieser Bereich liegt heute zurecht im Zentrum des Forschungsinteresses.

            Wenn wir jedoch absehen von den Großereignissen der Kreuzzüge, dann zeichnet sich das zwölfte Jahrhundert politisch vor allem durch die beiden Tendenzen der Zentralisierung und der Verrechtlichung der Macht aus.

            Während in den unmittelbar vorhergehenden Jahrhunderten die Macht auf viele lokale Regenten zersplittert war, kommt es nun zu einer Konzentration der Macht in der Hand der jeweiligen Herzöge und Fürsten, die zumindest versuchen, ihren Herrschaftsbereich einheitlich zu kontrollieren. Paralleles entwickelt sich im Verhältnis der Herzöge zum König, denn unterstützt durch die wachsende Bedeutung von Paris als kirchlichem, intellektuellem und ökonomischem Zentrum gelingt es dem König immer besser, die Rolle der zentralen Machtinstanz einzunehmen. Wir müssen uns dabei allerdings immer vor Augen halten, dass es Staaten im modernen Sinne, d.h. mit einer strukturierten Verwaltung, einem genau begrenzten Territorium der Staatsgewalt und der damit zusammenhängenden möglichen Kontrolle der Gesamtbevölkerung und ihrer Aktivitäten nicht gibt.[10] Insofern sind alle Aussagen, die die politische Machtausübung betreffen, relativ zu den Möglichkeiten der mittelalterlichen Gesellschaft.

            Die beschriebenen politischen Prozesse werden von der Einführung – oder besser: Wiedereinführung – des römischen Rechts begleitet und dadurch verstärkt. Bis zum Beginn des zwölften Jahrhunderts ist das geltende Recht jeweils lokales Gewohnheitsrecht durchsetzt mit weltlichen oder kirchlichen Zusätzen und Dekreten.[11] Diese Situation führt im Zuge der wachsenden Mobilität und des zunehmenden Handels nicht nur zu Komplikationen, sondern sie wird sogar zu einem Hemmnis für die Entwicklung. Eine Lösung bietet der Rückgriff auf die alte, aber zu diesem Zeitpunkt nahezu vergessene Tradition des römischen Rechts.[12] Sie erlaubt es, in relativ kurzer Zeit ein komplexes Rechtssystem zu entwickeln, das einerseits für die meisten Fälle dessen, was wir heute als Privatrecht bezeichnen, eindeutige Lösungen vorsieht, dabei aber keine Region Europas in der Verallgemeinerung ihres jeweiligen Rechtsverständnisses privilegiert; und das andererseits die Vereinheitlichung und Zentralisierung der Macht begünstigt. Das Rechtsstudium wird ausgehend vom norditalienischen Bologna und auf der Grundlage des Textes Decretum von Gratian[13] zu einer zentralen Bildungsinstanz, und die Systematizität des Rechts zeitigt auch in anderen Disziplinen, wie der Theologie beispielsweise, Konsequenzen.

            Europa entwickelt sich auf diese Weise zu einem einheitlichen Rechtsraum, in dem sich die Personen überall unter vergleichbaren Bedingungen bewegen können. Das setzt aber voraus, dass lokale Potentaten ihre Machtausübung dem Recht unterwerfen und somit einschränken. Schon vor der Magna Charta im 13. Jahrhundert, in der der englische König die Einschränkung der Reichweite seiner Macht zum ersten Mal offen anerkennt, nimmt der Philosoph Johannes von Salisbury in seinem Policraticus – einem Traktat, der den Herrscher über die Polis behandelt – eine theoretische Bestimmung und Legitimierung dieses Zusammenhangs vor. Darin steckt auch, dass die Auslegung des Rechts immer mehr eine Angelegenheit von Rechtsgelehrten wird und immer weniger den Machthabern selbst überlassen bleibt. Hierin bereitet sich die wichtige Rolle, die die Universitäten in der Zukunft spielen werden, vor, aber auch das Entstehen von Verwaltungen mit ihren Beamten zeichnet sich ab.

3. Kirche und Religion zwischen Kloster und Kathedrale

            Nachdem wir bisher einen Blick auf das weltliche Leben des zwölften Jahrhunderts geworfen haben, ist nun zur Entwicklung der Kirche in dieser Zeit überzugehen. Gerade in diesem Bereich findet sich häufig eine Menge von Vorurteilen, die von einer absoluten Herrschaft der katholischen Kirche im Mittelalter ausgehen. Hinter dieser Auffassung steckt zwar in gewisser Hinsicht ein richtiger Kern, in dieser Absolutheit ist sie jedoch – zumal für das zwölfte Jahrhundert – falsch. Die berühmten Instrumente der Machtausübung der Kirche, Inquisition und Index, entstehen erst im dreizehnten bzw. im sechzehnten Jahrhundert und entfalten ihre Rolle sehr viel stärker in der sogenannten ,Renaissance’ als im Mittelalter, und auch das Papsttum ist zu Beginn des zwölften Jahrhunderts alles andere als gefestigt.

            Das elfte Jahrhundert war das Jahrhundert der Klöster. Cluny in der Bourgogne war das unbestrittene Zentrum des westlichen Christentums und stand mit seiner Auslegung der Regel des heiligen Benedikt für das Selbstverständnis der Kleriker dieser Zeit. Im zwölften Jahrhundert finden die Kluniazenser mit den Zisterzensern, die ebenfalls in der Bourgogne ihren Ausgangspunkt wählen, radikalisierte Nachfolger. Die Zisterzienser, die technisch die Avantgarde des zwölften Jahrhunderts bilden und Pioniere im Urbarmachen des Landes und in der Bewässerung ihrer Gebäude und Felder sind, stehen religiös für einen Rückzug aus der Welt.[14] Sie verdammen die Städte und die Bildung als Quellen der Sünde, schließen die Klosterschulen und erwerben doch durch ihre Teilhabe an den ökonomischen Errungenschaften des Jahrhunderts immense Reichtümer. In ihrer ganzen Widersprüchlichkeit und Faszination, die sie nicht nur auf die heutigen Besucher von Fontenay ausüben, sondern die auch schon im zwölften Jahrhundert dazu führte, dass die Zahl ihrer Klöster zwischen 1115 und 1151 von 5 auf 351 stieg, sind sie typisch für das zwölfte Jahrhundert, nicht jedoch für die Lage der Religiosität überhaupt.[15]

            Klerikale Bildung und Rekrutierung vollzog sich bis zum Ende des elften Jahrhunderts wesentlich über die Klosterschulen und das klösterliche Leben galt als Idealbild gottgefälliger Existenz. Dies ändert sich im zwölften Jahrhundert, in dem sich der Weltklerus, d.h. vor allem die Kleriker, die wie Bischöfe, Pfarrer und Kanoniker kirchliche Funktionen außerhalb der Ordensgemeinschaften und vor allem in den Städten wahrnehmen, mehr und mehr von der Welt der Klöster emanzipiert. Der neue Ort weltklerikaler Rekrutierung werden die Kathedralschulen, die seit dem 9. Jahrhundert zwar an allen Kathedralen entstanden waren, bisher jedoch kaum Bedeutung hatten.[16] Der Weltklerus fühlt sich zur städtischen Gemeinschaft gehörig und befindet sich in engem Verhältnis zu den gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklungen der Zeit.

            Damit stehen sich aber auch zwei religiöse Ideale in diesem Jahrhundert gegenüber: Auf der einen Seite die nach innen gewandte Religiosität der zu absolutem Schweigen außerhalb des Gebets und des gemeinsamen Gesangs verpflichteten Zisterzienser, die mehr und mehr zu einer individuellen Auseinandersetzung mit Gott wird. Und auf der anderen Seite das Selbstverständnis einer die Welt nicht unbedingt verneinenden Existenz, in der die Religion und ihre offiziellen Vertreter eine wichtige Steuerungsfunktion für die Gesellschaft und ihre Existenzweise einnehmen. Diese Spannung spiegelt sich verständlicherweise in den theologischen Disputen der Zeit und wurde auf diese Weise zu einem der Motoren der intellektuellen und sozialen Entwicklung überhaupt. Mit Blick auf Peter Abaelard und Bernhard von Clairvaux wird wir dazu später mehr gesagt werden. Zuvor jedoch soll die historische Verortung mit einem Blick auf die Bildungssituation abgeschlossen werden.

4. Bildung und ihre Institutionen

            Wir sahen bereits, wie eng die zentralen Bildungseinrichtungen des zwölften Jahrhunderts mit der Kirche verbunden sind: Die Schule ist der Ort, an dem Bildung erworben und weitergegeben wird. Die Universitäten entstehen erst im 13. Jahrhundert, finden aber vor allem in der Situation einer kaum noch überschaubaren Vielfalt von Lehrern und Schulen im Paris des 12. Jahrhunderts ihren institutionellen Vorläufer.[17]

            Die Bildung ist organisiert nach dem Modell der septem artes liberales, der sieben freien Künste, die sich wiederum in das trivium und das quadrivium unterteilen. Das trivium besteht aus den sogenannten Sprachdisziplinen der Rhetorik, der Grammatik und der Dialektik. Grammatik bezeichnet hierbei eine allgemeine Interpretationslehre, während mit der Dialektik die Logik im heutigen Sinne gemeint ist. Auf das trivium folgen im quadrivium die Zahlenkünste Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik. Die sieben artes liberales bereiten den Schüler auf das Studium der Theologie vor, das er aufnehmen darf, wenn er hinreichende Kenntnisse in jenen erworben hat.

            Bis ins elfte Jahrhundert sind Schulen so gestaltet, dass sie den Schüler in allen Künsten sowie der Theologie unterrichten. Nur wenige Schüler nehmen den beschwerlichen Weg auf sich, an mehreren Schulen und bei mehreren Magistern zu studieren. Dies ändert sich im zwölften Jahrhundert radikal: es gibt zwar weiterhin Schulen, in denen alles auf einer sehr grundlegenden Ebene unterrichtet wird, diese sind nun aber häufig der Ausgangspunkt für weitergehende Studien, zu denen der Unterricht von spezialisierten Magistern aufgesucht wird. So kommen die Schüler ausgestattet mit ersten Lateinkenntnissen mit fünfzehn Jahren zu Lehrern, um sich von ihnen in den aktuellen Stand der Disziplinen einführen zu lassen. Einzelne Städte, wie z.B. Laon, leben sogar hauptsächlich von diesen wandernden Studenten, da diese den Städten Geld und Ruhm bringen. Der englische Historiker Southern kommt auf dem Hintergrund verschiedener Quellen zu dem Schluss, dass sich das damalige Studentenleben kaum von dem heutigen unterschieden hat, da es beispielsweise Belege für Dauerstudenten, Auseinandersetzungen mit Eltern über den Verlauf des Studiums sowie für die Konflikte der Obrigkeiten mit den Studenten gibt.[18] Die Erfahrungen mit den Studenten werden sogar zu einem der wichtigsten Antriebe für die Entwicklung eines speziellen Rechtsstatus der Wissenschaft und der Schulen, der bis heute weitergilt: Universitäten sind seit dem dreizehnten Jahrhundert – und dies nimmt Regelungen auf, die im Kontext der Schulen des zwölften Jahrhunderts entstanden sind – der Hoheit des Kanzlers der Universität unterstellt, nicht der offiziellen Hoheit.

            Die zentrale Rolle der Studenten für die Entwicklung der Schulen und späteren Universitäten ist nicht zu unterschätzen. Demgegenüber befinden sich die Magister zumeist in direkten Abhängigkeitsverhältnissen von ihren Schülern, da diese die Magister bezahlen und zum Prestige der Schulen beitragen. Inhaltlich kommt es aber zu gewaltigen Fortschritten in allen Disziplinen des mittelalterlichen Bildungswesens. Die Spezialisierung der Magister, die Intensivierung des Austauschs zwischen ihnen sowie die bessere Verfügbarkeit von Manuskripten und die neue Zugänglichkeit von wissenschaftlichen Texten arabisch-jüdischen Ursprungs führen zur Schärfung der Argumente und Methoden in allen Bereichen. Zugleich kommt es durch die Spezialisierungen aber auch zu Konflikten unter den artes selbst sowie zwischen ihnen und der Theologie. Es bilden sich die verschiedensten Lager und die Wissenschaft wird zu einem kulturell und intellektuell umstrittenen Terrain.[19]

            Dieses Terrain bietet das Sprungbrett für einige herausragende Gelehrte, die nicht nur für das zwölfte Jahrhundert wichtig waren, sondern deren Texte für die Entwicklung des Denkens überhaupt von Interesse sind. Davon sollen nun zwei kurz vorgestellt und in ihren Leistungen und Interaktionen beschrieben werden.

III. Peter Abaelard und Bernhard von Clairvaux:
Widerspruch zwischen Glauben und Vernunft?

 

1. Peter Abaelard – Leben, Denken, Theologie

            Peter Abaelard – wer kennt diesen Namen nicht: den leidenschaftlichen Liebhaber und späteren Gatten von Heloise, seiner 17jährigen Schülerin, die er im Hause ihres Onkels verführt und schwängert. Grausam wird der 37jährige in einer nächtlichen Strafaktion dafür von den Häschern des Domherrn Fulbert, seinem Schwiegervater, entmannt.

            Seit jeher hat das tragische Schicksal dieser beiden Liebenden die Geister beflügelt, man denke nur an Rousseaus Julie ou la Nouvelle Héloïse. Und auch heute noch strömen die Besucher des Pariser Friedhofs Père Lachaise in Scharen zur letzten Ruhestätte des Paares, das dort neben anderen Berühmtheiten wie Molière und La Fontaine seit 1817 beigesetzt ist, um sein Grab mit Rosen zu schmücken.

            Die Geschichte von Abaelards Aufstieg und Fall ist uns in seiner Historia calamitatum mearum, also die Geschichte meiner Leiden erhalten, in der er sich Alter von etwa 54 Jahren Rechenschaft über sein bisheriges Leben gibt: seine Lehrerfolge in ganz Frankreich, seine Niederlage vor der kirchlichen Autorität auf der Synode von Soissons 1121 und seine unglückliche Liebe zu Heloise – all dies wird hier zum literarischen sujet stilisiert; es fehlt freilich die letzte – und vielleicht bitterste – Enttäuschung seines Lebens nur zwei Jahre vor seinem Tod: die Konfrontation mit Bernhard von Clairvaux.

            Ganz anders als bei den meisten seiner Zeitgenossen können wir damit im Falle Abaelards auf eine große Fülle historischen Quellenmaterials zurückgreifen, das uns Einblicke nicht nur in sein Werk, sondern zugleich in sein Privatleben gibt. Zwar existieren Viten aus dem 12. Jahrhundert, die uns das Leben der großen Persönlichkeiten schildern, meist derer, die in späteren Zeiten zu Heiligen kanonisiert wurden, doch sind dies keine Biographien im eigentlichen, engeren Sinne; es ist hagiographische Erbauungsliteratur. Mit Abaelard und seiner Historia stehen wir so vor einem interessanten und neuen Phänomen: Denn Historia ist hier nicht mehr Universalgeschichte, noch meint es Heilsgeschichte, vielmehr ist Historia hier die je eigene Lebens- und, wie Abaelard sagt, Leidensgeschichte. Nicht das Werk, nein, der Mann steht dabei im Mittelpunkt. Der Philosoph und Theologe schreibt nicht über Gott, nicht über die Welt, sondern über sich und kündet damit von einem neuen Bewusstsein.

            Ihren Ausgang nimmt diese Lebens- und Leidensgeschichte im Jahre 1079 in der Bretagne, wie Abaelard den Leser seiner Historia wissen lässt:

„Mein Heimatort Le Pallet etwa acht Meilen östlich von Nantes, liegt im Grenzgebiet der Bretagne. Meine Auffassungsgabe verdanke ich der Landesart ebenso wie die Empfänglichkeit für die Wissenschaft. Jedenfalls hatte mein Vater schon vor dem Ritterdienst ein wenig studiert und schwärmte später für die wissenschaftliche Bildung. [...] Als Erstgeborener lag ich ihm besonders am Herzen; darum legte er bei mir auch besonderen Wert auf sorgfältigen Unterricht. Und ich – nun, ich machte mühelos große Fortschritte, mein Eifer wurde immer verzehrender, und schließlich gewann ich die Wissenschaft so lieb, dass ich allen Glanz des Rittertums dahingab, auf Erbe und Erstgeburt zugunsten meiner Brüder verzichtete und mich von Mars’ Hofhaltung ganz zurückzog, um in Minervas Schoß  erzogen zu werden. Von der Philosophie sagte mir die Dialektik am meisten zu: für ihre Waffen gab ich die Ritterwaffen dahin, um nur noch im Geistesturnier Ringe zu stechen. Zum Studium der Dialektik zog ich überall hin, wo man mir Hauptsitze dieser Wissenschaft rühmte, und wurde so ein Wanderphilosoph im Sinne des Altertums.”[20]

            Der Sohn eines miles litteratus, eines gebildeten Ritters, übt sich nicht gerade in Bescheidenheit: schon früh habe er viel literarisches Talent und „ingenuum” besessen. Das Vorrecht des Erstgeborenen auf Haus und Hof schlägt er aus; und auch den Ritterstand lehnt er für sich ab, freilich um dann doch zum Ritter zu werden: zum „Ritter der Dialektik”, wie Paul Vignaux ihn in Anspielung auf die zitierte Passage apostrophiert. Und in der Tat, als Lehrer der Dialektik sollte Abaelard Karriere machen. Zunächst aber zog er selbst als Student umher, wie es in diesen Tagen Sitte war. In Loches hörte er zunächst bei Roscelin, dem ersten der sogenannten Nominalisten, der den Universalienstreit entzündete. Ihm waren die Begriffe bloßer flatus vocis, bloßer Worthauch ohne eigenen Bestand. Aber auch bei einem Vertreter der Gegenpartei, dem Universalienrealisten Wilhelm von Champeaux, hörte Abaelard an der Kathedralschule von Notre-Dame. Für ihn waren umgekehrt die Allgemeinbegriffe viel wirklicher als die Einzeldinge. Abaelard selbst entwickelte in der Universalienfrage eine eigene Lösung, den sogenannten Konzeptualismus. Viel wichtiger und aufschlussreicher für unsere Fragestellung als diese eigene Position ist Abaelards Verhalten seinen Lehrern gegenüber; beide griff er gleichermaßen an: zunächst im Schulbetrieb, dann auch öffentlich, und bezichtigte sie der Inkompetenz. Die Reaktionen hierauf blieben nicht aus: Roscelin korrespondierte mit Abaelard über die Trinität und erlaubte sich bei dieser Gelegenheit von Abaelards „Hure Heloise”, so wörtlich, zu sprechen. Das Klima um Abaelard war also schon während seiner Lehr- und Wanderjahre gespannt.

            Ermüdet und vielleicht auch gelangweilt von solchen und weiteren Auseinandersetzungen und in dem Bewusstsein, von diesen Lehrern in Sachen Dialektik nichts mehr lernen zu können, beschloss Abaelard sich nun der Theologie zu widmen. Dazu ging er nach Laon, wo der z.Zt. angesehenste Theologe unterrichtete: Anselm von Laon. Aber auch hier sollte es bald zu offenen Animositäten mit Anselm kommen, von dem Abaelard behauptet, sein Ruf gehe wohl eher auf sein fortgeschrittenes Alter als auf sein Wissen zurück. Von weitem gleiche Anselm einem großen stattlichen Baum, aus der Nähe besehen erkenne man jedoch seine Unfruchtbarkeit; er sei wie der verfluchte Feigenbaum des Neuen Testamentes (Mt. 1, 18ff.). Anselm verstand als traditioneller Grammatiker, für den Theologie die glossierende und kommentierende Lektüre der Heiligen Schrift war, nicht die spekulative und dialektische Herangehensweise eines Abaelard. Abaelard selbst wird, durch Anselm dazu aufgefordert, eine Kostprobe seiner dialektischen Methode in Anwendung auf die Theologie geben: In einer Vorlesung erhält er Gelegenheit, einen schwierigen Passus aus der Ezechiel Prophezeiung zu besprechen. Er besteht die Feuerprobe mit Bravour; bleiben darf er danach allerdings nicht in Laon. Doch mit einer immensen Zuhörerschar kehrt er nach Notre-Dame zurück, wo er nun den Lehrstuhl seines früheren Rivalen Wilhelm von Champeaux besteigt, der zuvor nach den unschönen Auseinandersetzungen mit Abaelard zurückgetreten war und die Abtei St. Viktor gegründet hatte. Wir befinden uns jetzt im Jahre 1114, Abaelard ist also etwa 35 Jahre alt; es ist die Zeit der großen Liebe mit Heloise. Abaelard ist mit der Rückkehr nach Paris der große Durchbruch gelungen, nicht nur persönlich, sondern auch in seinem Denken: die Anwendung der Dialektik auf die Theologie, wie er sie in Laon vorgeführt hatte, wird von nun an zum bestimmenden Motiv seines Philosophierens.

            In den folgenden Jahren beginnt er mit der Arbeit an seiner Theologia, deren Untertitel Abhandlung über die göttliche Einheit und Dreieinigkeit lautet und die er bis an sein Lebensende immer wieder überarbeiten wird. Mit diesem Werk wird er in gewisser Weise zum Begründer dessen, was uns heute Theologie heißt. Die Theologie vor Abaelard verstand sich in erster Linie als grammatische Auslegung der Heiligen Schrift: Man unterschied verschiedene Stufen des Schriftsinns, die es zu interpretieren galt. So etwa in Laon. Und recht eigentlich besehen sprach man auch nicht von Theologie, sondern von doctrina christiana oder sacra pagina, also christlicher Lehre und heiliger Seite. Abaelard hingegen verbindet mit seiner Rede von Theologie die Idee einer vernünftigen Rede von Gott oder, wie man sagen könnte, systematische Theologie. Ihre Grundlage, sagt uns Abaelard sich auf Augustinus berufend, muss, so wie die Grundlage aller Wissenschaften, die disciplina disciplinarum, die Disziplin der Disziplinen sein, die er mit der Dialektik identifiziert, denn:

„Sie lehrt das Lehren, sie lehrt das Lernen. In ihr zeigt sich die Vernunft selbst und eröffnet, was sie ist und was sie intendiert. Sie weiß das Wissen, und als einzige will sie nicht nur, sondern vermag auch Wissende zu machen.”[21]

            Vernünftigkeit wird damit zum Grundsatz aller Wissenschaften erhoben, auch der Theologie, die zwar über der Vernunft sein mag, doch nicht gegen sie sein soll. In der Theologie geht es also nach Abaelard durchaus vernünftig zu, ja menschlich, „zumal wir auf keine andere Weise”, so Abaelard in der Theologia, „vorgehen können als so, dass wir mit menschlichen Vernunftgründen genugtun. Daher ist, was immer wir über die erhabenste Philosophie [= Trinitätsspekulation] darlegen, eingestandener-maßen nur ein Schatten, nicht die Wahrheit, sozusagen eine Analogie und nicht die Sache selbst, was wahr ist, wird der Herr wissen. Was aber wahrscheinlich und im Blick auf die philosophischen Argumente, mit denen man uns attackiert, am meisten zustimmungswürdig ist, bin ich meines Erachtens im Begriff auszuführen.”[22] Menschliche Vernunftgründe sind es also, die auch in der Theologie zu wahrscheinlichen Aussagen führen, die ihrerseits rationale Zustimmungsfähigkeit besitzen sollen. ‚Wahrscheinlich’ meint dabei für Abaelard ein Doppeltes: Zum einen bedeutet es, dass die entsprechenden Aussagen tatsächlich so erscheinen, als seien sie wahr, zum anderen bedeutet es, dass sie provisorischen Charakter besitzen. Es sind Annäherungen an die Wahrheit. Abaelard formuliert dies folgendermaßen:

„Zwar versprechen wir darüber [d.h. über die Trinität] nicht die Wahrheit zu lehren, welche, wie man übereinkommt, weder wir noch irgendein Sterblicher weiß. Doch ist es erfreulich, wenigstens etwas Wahrscheinliches und der menschlichen Vernunft Affines, aber der Hl. Schrift nicht Konträres vorzubringen [...]”[23]

            Mit diesen wenigen Worten ist programmatisch ein neues Konzept von Wissenschaft entworfen, in dessen Zentrum die Vernünftigkeit und damit auch die objektive Nachprüfbarkeit wissenschaftlicher, hier theologischer Aussagen steht.

            Dieses neue Konzept von theologischer Wissenschaft bringt die traditionelle Gotteslehre in Bedrängnis. Peter Abaelard führt dies in seinem berühmten Werk Sic et non, deutsch Ja und Nein vor. Die traditionelle Gotteslehre bestand, wie bereits ausgeführt, in der Exegese der Bibel. Das Instrumentarium hierzu bildeten v.a. die Schriften der Kirchenväter Augustinus, Gregor der Große u.v.m. Aus diesen Schriften greift Abaelard nun in Sic et non 1800 Zitate heraus und ordnet sie gewissen Problemen zu, die Glaubensfragen aus dem Alten und Neuen Testament betreffen. Dabei sind die Zitate so gesammelt und zusammengestellt, dass sie scheinbar widersprüchliche Auskünfte geben. Gleich die erste quaestio betrifft die Frage, ob der Glaube mit menschlichen Vernunftgründen zu stützen sei oder nicht – also genau das, was Abaelard vorhatte. Als Antwort hierauf zitiert Abaelard zwei Passagen aus dem Werk Papst Gregors des Großen: Einmal behauptet dieser, der Glaube habe kein Verdienst, wenn er vernünftig eingesehen werden könnte. In einem Brief an Bischof Dominicus verkündet derselbe Gregor jedoch, er wünsche, dass die katholischen Priester die Ketzer mit der Vernunft zum Schweigen brächten. Solcher Probleme behandelt Abaelard 158 an der Zahl, und immer wieder zeigt er die Widersprüchlichkeit der zitierten Autoritäten auf, sei es der Väter oder auch der Bibel selbst. Die katholische Lehre, so hat es den Anschein, kann damit einem Grundprinzip der Dialektik, d.h. der Logik, nicht genügen: nämlich der Widerspruchsfreiheit. Wie dieses scheinbare Dilemma zu lösen ist, zeigt Abaelard im Prolog des Buches. In ihm entwickelt er nämlich seine hermeneutischen Prinzipien, Grundregeln für die vernünftige Textinterpretation: Scheint eine Aussage widersprüchlich oder unsinnig, so darf man sie nicht gleich als unsinnig abtun. Vielmehr muss man auch am eigenen Verständnis des Textes zweifeln und sich wirklich bemühen, den Autor zu verstehen. Wir würden das heute als Rationalitätsunterstellung bezeichnen. Auch kann es sein, dass ein Wort verschiedene Bedeutungen besitzt oder in früheren Zeiten etwas anderes bedeutete als heute, oder vielleicht wurde es einfach falsch übersetzt, sofern es sich um Übertragungen handelt. Und schließlich gibt es die Möglichkeit, dass der Text schlecht überliefert ist, was bei mittelalterlichen Handschriften, die in den Skriptorien der Klöster voneinander abgeschrieben wurden, allenthalben vorkam. Kurzum, Abaelard nimmt hier wesentliche Elemente der im letzten Jahrhundert so gefeierten historisch-kritischen Methode in der Philologie vorweg, die ihm die Versöhnung von Vernunft und Autorität erlaubt. Der Glaube ist ihm nicht widervernünftig, im Gegenteil, man muss sich nur um das adäquate Verständnis bemühen.

            Das große Vertrauen in die dialektische Methode, in deren Zentrum die Vernunft steht, erlaubt ihm auch ein neues Verständnis der heidnischen Philosophen und der Andersgläubigen. Zwar war den griechischen Philosophen Christus nicht bekannt gewesen und auch die Bibel nicht, doch hatten sie bereits über die Vernunft Anteil an der Offenbarung. Abaelard geht hier soweit, dass er einem Platon etwa bereits das Wissen um die Trinität zuschreibt.[24] Ja er selbst bedient sich sogar in seiner Theologia der platonischen Rede von der Weltseele, der anima mundi, aus Platons Dialog Timaios, die er mit dem Heiligen Geist in eins setzt. Von der Inkarnation allerdings, so Abaelard, wussten die heidnischen Philosophen noch nicht. Und auch mit den Andersgläubigen seiner Zeit sucht er den Dialog, zumindest literarisch. So in seinem kurz vor seinem Tod im Jahre 1141/42 in Cluny begonnenen Gespräch eines Philosophen, eines Juden und eines Christen Man hat dieses Werk immer wieder in den Kreis der großen aufgeklärten Religionsdialoge und Toleranzschriften stellen wollen, etwa an die Seite der Ringparabel Lessings. Sicherlich ist dies übertrieben, denn Abaelard war kein Verfechter des religiösen Indifferentismus oder einer reinen Vernunftreligion; sein Religionsdialog ist ein Plädoyer für das Christentum, jedoch eines, das versucht, selbst mit Vernunftgründen zu operieren – und das zu einer Zeit, da andere den Kreuzzug predigten.

            In Abaelard zeigt sich damit die Öffnung des Christentums für neue Impulse, ebenso für die Texte der antiken Philosophen wie für diejenigen der arabisch-jüdischen Tradition. Gerade der auch von Abaelard herangezogene Timaios sollte für das 12. Jahrhundert zu einem Grundbuch insbesondere der Naturphilosophie werden. Alle großen Denker der Zeit schrieben ihren Kommentar zu diesem Dialog. Die Rezeption des arabischen Denkens und mit ihr die Wiederentdeckung des Aristoteles befand sich in Toledo bereits in ihrer ersten Phase und sollte bald auch in die intellektuellen Zentren Frankreichs gelangen. Petrus Venerabilis etwa, der Abt von Cluny, ließ den Koran ins Lateinische übersetzen. Aber nicht alle standen diesen Neuerungen so aufgeschlossen gegenüber wie Abaelard. Als Petrus Venerabilis Bernhard von Clairvaux einlädt, seine Koran-Übersetzung zu studieren, antwortet dieser nicht einmal.

            Das Bild, das vor unseren Augen von diesem so berühmten Mann entsteht, ist damit weniger das des Antitraditionalisten und Ikonoklasten, wie man ihn immer wieder gelesen hat, als vielmehr dasjenige eines tief von der Kraft der Vernunft überzeugten Denkers, weshalb sein Editor Victor Cousin ihn sicherlich nicht ohne Grund den ersten Descartes genannt hat.

2. Bernhard von Clairvaux – Ritter des Glaubens

            Eine ganz andere Karriere als Abaelard schlug der ebenfalls aus vermögendem Ritterhaus stammende Bernhard von Fontaines-lès-Dijon, später Bernhard von Clairvaux, ein, der 1090 in der Bourgogne geboren wurde. Schon früh entschied er sich unter dem Einfluss seiner Mutter Aleth, dem Zisterzienserorden beizutreten, also jener Gemeinschaft, die erst wenige Jahre zuvor von den beiden Kirchenmännern Robert und Alberich von Molesme in Cîteaux gegründet worden war. Wie die Kluniazenser beriefen sich auch die Zisterzienser auf die Benediktregel, doch wollten sie diese in einem strengeren Sinne verstanden wissen und sich ganz der Welt entziehen. Zwar sind Robert und Alberich die Stifter des Ordens, der eigentliche Vater der Gemeinschaft ist jedoch unumstritten Bernhard. Nachdem er 1112 dem Orden beigetreten war, wurde er nur drei Jahre später zum Abt des neugegründeten Clairvaux ernannt. In den Orden mitgebracht hatte er seine gesamte Verwandtschaft; seine Brüder hatten ihre Familien verlassen, um ihm zu folgen. Von hier aus breitete sich der Orden unaufhaltsam aus: in Bernhards Todesjahr zählte der Orden 351 Häuser und am Ende des 12. Jahrhunderts gar 525 Filiationen. Mit seinem Tatendrang, seiner militärischen Disziplin und seiner engelsgleichen Zunge gelang es ihm in kürzester Zeit, den Orden so zu einem der attraktivsten seiner Tage zu machen.

            Bernhard war Zeit seines Lebens auf Reisen, wir finden ihn in Deutschland, Italien und selbstredend in ganz Frankreich. Und überall predigt er – predigt vom Wert der religiösen Erfahrung, von der Selbstbescheidung der Vernunft und der Liebe, ja von der Innerlichkeit. Nur Predigten und Briefe hat er uns hinterlassen, davon aber gleich vier dicke und eng bedruckte Bände. Systematische Werke, wie Abaelard, hat er nicht verfasst. Die Ausbildung, die er seinen Mitbrüdern im Zisterzienserorden angedeihen ließ, war auf das Nötigste beschränkt, gerade soviel, wie sie zur Lektüre der Heiligen Schrift und der Väter brauchten. Über den Nutzen des Wissens urteilt Bernhard folgendermaßen:

„Da sind viele, die suchen Wissen um des Wissens willen: das ist schändliche Neugier. Da sind andere, die wünschen Kenntnis, um selber gekannt zu werden: das ist schändliche Eitelkeit. [...] Andere suchen Wissen, um es zu verkaufen: [...] das ist unehrenhaft. Doch es gibt auch welche, die Wissen suchen, um aufzuerbauen: das ist Liebe. Und wiederum andere gibt es, die das Wissen suchen, um auferbaut zu werden: das ist Klugheit.”[25]

            Scharf wendet sich Bernhard hier gegen die Kommerzialisierung des Wissens, wie er sie in den Pariser Schulen zu erkennen glaubt, aber auch gegen die Idee des Selbstzwecks des Wissens. Nur wenn es zur Erbauung dient, d.h. die Seele für Gott bereit macht und auf ihn hinführt, dann ist Wissen nützlich. Freilich wäre es zu einfach, Bernhard als mystischen Irrationalisten zu stigmatisieren. Wir wissen, dass er so ausgezeichnete Männer wie Robert Pullen, Johannes von Salisbury und Petrus Lombardus zum Studium ermutigte und finanziell unterstützte. Nichtsdestotrotz hält er am Primat der religiösen Erfahrung und der überlieferten Tradition fest:

„Diese [= die Apostel und nicht die Philosophen] sind unsere Lehrer. [...] Was uns die heiligen Apostel gelehrt haben und noch immer lehren? Sie haben mich gelehrt zu leben. Glaubst du, es wäre ein Geringes: zu leben wissen?”[26]

            Entsprechend wacht der große Zisterzienser mit kritischen Augen über die Aktivitäten der Philosophen seiner Zeit. Und natürlich konnte ihm dabei ein Peter Abaelard kaum entgehen. Zu einer ersten, aber noch freundschaftlichen Auseinandersetzung kommt es im Jahre 1131, als Bernhard mehr oder weniger zufällig das von Abaelard für Heloise und die ihrigen gegründete Paraklet-Kloster besucht. Insgesamt zeigt sich der strenge Abt aus Clairvaux sehr angetan von der Gemeinschaft. Doch irritiert ihn die von der traditionellen Liturgie abweichende Diktion des Vater Unser: Anstatt „unser täglich Brot” (Lk. 11, 3: „panem nostrum cotidianum”) beten die Nonnen mit einer Matthäus-Stelle aus der Vulgata „unser über alle Substanz erhabenes Brot” (Mt. 6, 11: „panem nostrum supersubstantialem”). Heloise und ihre Mitschwestern folgen hier einer Argumentation Abaelards, der gelehrt hatte, man müsse die Formulierung des Matthäus-Evangeliums vorziehen, weil Matthäus als Augen- und Ohrenzeuge das Vater Unser aus dem Munde Christi gehört habe, Lukas diesen jedoch gar nicht mehr gekannt habe. Diese Argumentation illustriert noch einmal die historisch-kritische Methode Abaelards. Ob und wie Bernhard darauf geantwortet hat, ist nicht bekannt.

            Zumindest von dieser Auseinandersetzung also dürfte Bernhard Abaelard bereits gekannt haben, als er in der Fastenzeit des Jahres 1139 einen Brief seines langjährigen Freundes und Mitbruders Wilhelm von St. Thierry aus der Zisterze Signy erhielt, in dem dieser sich in heller Sorge über die bedrohlichen Neuerungen in der Theologie an ihn wandte, namentlich Peter Abaelard und seine Theologia Aus den Werken Abaelards stellte Wilhelm verschiedene Exzerpte in dreizehn Punkten, sogenannten Kapiteln zusammen. Die meisten davon waren aus dem Zusammenhang gerissen, wieder andere stammten gar nicht von Abaelard; von Abaelards textkritischer Methode wussten seine Ankläger offensichtlich noch nicht oder wollten nicht davon wissen.

            Als besonders bedrohlich empfand Bernhard die Abaelardsche Definition des Glaubens als existimatio, d.h. als Meinung, von den nicht sichtbaren Dingen. Bernhard wusste nicht, dass Meinung hier im Gegensatz etwa zu opinio in einem festen philosophischen Sinn gebraucht wurde. Damit lief der Begriff des Glaubens bei Abaelard für ihn Gefahr ins rein Beliebige abzugleiten: er wurde zum Gegenstand des Zweifels – und das durfte nicht sein! Mit entsprechender Verärgerung beginnt Bernhard denn auch seinen Anklagebrief gegen Abaelard an Papst Innozenz II.:

„Wir haben hier in Francia einen Mann, der vom alten Philosophen zum neuen Theologen geworden ist, der von Jugend an in der Ars dialectica herumspielte und jetzt in den Heiligen Schriften unverständig herumwütet [...] Und in seinem eitlen Bestreben, von allem vernünftig argumentieren zu wollen, schickt er sich an, gegen jede Vernunft und jeden Glauben, von dem vernünftig zu argumentieren, was über der Vernunft steht. Und was gibt es der Vernunft Entgegengesetzteres, als sich mit Hilfe derselben über sie zu erheben?”[27]

            Im Lateinischen entfaltet dieser letzte Satz seine ganze rhetorische Wirkung: „Quid enim magis contra rationem, quam ratione rationem conari transcendere.” Die Argumentation Bernhards an dieser Stelle ist mehr als geschickt. Er zeigt sich hier nicht als simpler Irrationalist oder Fideist, der die Vernunft als Erkenntnisquelle einfachhin verwirft, sondern wird im Gegenteil zum Advokaten der Vernunft, indem er um ihrer selbst willen auf ihre Grenzen hinweist. Es steckt hier schon etwas vom kritischen Rationalismus eines Kant drin, der die menschliche Vernunft auf ihre Grenzen hin untersucht. Darum ist für Bernhard Abaelards Theologia, wie er im selben Brief sagt, letztlich wegen ihrer Vermessenheit eine Stultilogia, eine Torheitslehre also.

            Abaelard, dem eine Abschrift des Schreibens zugespielt wurde, gibt daraufhin ein Rundschreiben an seine Freunde heraus:

„Jener [gemeint ist Bernhard] insgeheim freilich schon längst mein Feind, der bisher vorgab, er sei mein Freund, ja mein besonderer Freund sogar, ist nun in solchem Neid erbrannt, dass er den Titel meiner Werke nicht ertragen konnte, durch die, wie er meinte, sein Ruhm desto deutlicher gedemütigt wurde, je mehr ich mich erhöhe, wie er dachte.”[28]

            Und im gleichen Brief kündigt er eine öffentliche Diskussion im Rahmen des Konzils von Sens mit Bernhard an, zu der er von seinen Freunden zahlreiches Erscheinen erbittet. Bernhard selbst war über diesen Vorschlag mehr als unglücklich, wie man seiner Korrespondenz entnehmen kann. Offensichtlich fürchtete der wortgewaltige Rhetoriker die dialektische Gewandtheit seines Gegners. Zu guter Letzt schien eine öffentliche Aussprache unumgänglich – doch Bernhard hatte bereits einen Plan gefasst.

            Schon am Vortag der Disputation war er in Sens eingetroffen und predigte gegen Abaelard, um die Menge auf seine Seite zu bringen. Des Abends dann nutzte er das Beisammensein der versammelten Bischöfe, um seinen Plan in die Wege zu leiten. Er wollte die Aussprache mit Abaelard nicht abwarten, sondern verlas den Bischöfen nach dem Abendessen die Anklagepunkte und ließ sie darüber abstimmen. Die Bischöfe, so wird berichtet, waren zu diesem Zeitpunkt bereits so betrunken, dass sie statt des „damnamus”, also wir verurteilen, nur noch „namus”, d.h. wir schwimmen, nämlich in Alkohol, stammeln konnten. Damit waren die Würfel gefallen: als Abaelard am nächsten morgen zur Disputation erschien, wurde er mit dem Urteil der Bischöfe konfrontiert und aufgefordert, Stellung zu nehmen Doch bezeichnenderweise appellierte er an den Papst und schwieg, womit er das Inkrafttreten der Verurteilung juristisch vereitelte. Aber dies nur für kurze Zeit, denn der große Einfluss Bernhards auf die Kurie erwirkte schnell eine entsprechende Verurteilung Abaelards auch durch Innozenz II. Die causa Abaelardi war damit erledigt. Bernhard und mit ihm die monastische Theologie hatte den Sieg über Abaelard und seine Form von Theologie davongetragen. Die Verbissenheit, aber auch die unfairen Mittel, mit denen Bernhard die Angelegenheit vorangetrieben hatte, sollten sein Bild bis in unsere Tage hinein nachhaltig prägen. Er wurde damit zu einem „Großinquisitor vor der Zeit”, wie Le Goff ihn tituliert.

            Diese scheinbar paradoxe Formulierung hat einiges für sich. In den Gegenüberstellungen von Abaelard und Bernhard wird oftmals die schematische Opposition von neuem und altem Denken, von Fortschritt und Tradition zum Mittelpunkt. Sicherlich hilft diese Zuordnung, einiges in ihrem Denken zu erfassen. Doch sie verbaut mindestens genauso viel. Abaelard und Bernhard scheinen nicht nur Antagonisten gewesen zu sein, der eine den Blick voller Abenteuerlust nach vorn gerichtet, der andere sehnsüchtig nach hinten blickend; nein, das Verhältnis ihres Denkens ist weitaus komplexer, es scheint sich in Bahnen der Komplementarität zu bewegen. Denn auch Bernhard war „vor seiner Zeit”, war also modern für seine Zeit, gehörte er doch dem größten Reformorden seiner Tage an: Ständig auf Reisen, wirkte er nachhaltig auf die Politik seiner Zeit – und nicht nur auf die Kirchenpolitik, wie im Fall Abaelard. Bernhards theologisches Denken sollte auch im 13. Jahrhundert mit Gestalten wie Alexander von Hales, Bonaventura und Petrus Johannes Olivi, also v.a. in der franziskanischen Tradition, fortleben. Ja noch in der sogenannten devotio moderna im 15. Jahrhundert ist sein Einfluss spürbar. Und die Selbstbescheidung der Vernunft sowie die Entdeckung der Innerlichkeit sind große Leistungen, die auch für uns, am Anfang des 21. Jahrhunderts, noch einen bedeutenden Wert besitzen. Bernhard wusste um seine Hin- und Hergerissenheit zwischen Tradition und Modernität. So sagte er 1150, also nur drei Jahre vor seinem Tod, von sich selbst sprechend: „Ich bin nämlich sozusagen ein Mischwesen in meiner Generation.”[29] Zugleich gilt für Abaelard, dass er bei aller Betonung der Vernunft fest in der christlichen Tradition verwurzelt war; vernünftig war er, doch wollte er kein Rationalist um jeden Preis sein, wie man ihm vorwarf. Wie sehr ihn diese Vorwürfe indes schmerzten und wie sehr er sich von manchen seiner Zeitgenossen missverstanden fühlte, belegen folgende Worte aus einem seiner letzten Briefe an Heloise, mit denen die Darstellung der beiden Feindbrüder Abaelard und Bernhard abgeschlossen werden soll:

„Liebe Schwester Heloise, in der Welt einst mir teuer, jetzt in Christo vor allem lieb und wert: die Logik ist es, die mich der Welt verhasst gemacht hat. Die Erzverdreher, deren Weisheit im Verderben besteht, verkünden der Welt, ich sei in der Logik eine erste Kraft, im Paulus aber hinke ich stark. Sie rühmen damit meinen Scharfsinn, aber sie wollen die Reinheit meines Christenglaubens nicht anerkennen. [..] Wenn ich gegen Paulus verstocken muss, um ein Philosoph zu heißen, dann verzichte ich auf den Philosophen; um ein Aristoteles zu sein, will ich mich nicht von Christo scheiden.”[30]

IV. Gibt es eine Renaissance des 12. Jahrhunderts?

            Gab es also eine Renaissance im 12. Jahrhundert? Sind die drei Kriterien, die zu Beginn eingeführt wurden, d.h. die Wiedergeburt der Autoren der Antike, die Betrachtung der Dinge dieser Welt als solcher und die Entdeckung des Individuums in diesem Jahrhundert erfüllt? Mit unserer Darstellung haben wir zumindest versucht, einige Hinweise darauf zu geben, warum es angemessen erscheinen kann, von einer Renaissance des zwölften Jahrhunderts zu reden. Zum Abschluss sollen einige dieser Punkte nochmals zusammengefasst werden.

(1) Es ist im 12. Jahrhundert ein erneuertes Interesse an den Texten der antiken und spätantiken Autoren erkennbar. Besonders deutlich ist dies in der umfangreichen Kommentarpraxis zum Platonischen Dialog Timaios, aber auch in der fortschreitenden Wiederentdeckung der Schriften des Aristoteles. Zudem gibt es Schulen und Autoren, die sich nicht nur rhetorisch sondern auch thematisch an den großen römischen Autoren wie beispielsweise Cicero orientieren.

Insgesamt ist jedoch zu sagen, dass es sich bei dem Topos der ‚Wiedergeburt’ der Autoren der Antike in nahezu allen seinen Verwendungen um einen Mythos handelt. Das abendländische Denken hat nie aufgehört, vom antiken Erbe zu zehren und sich in der Auseinandersetzung mit dem griechisch-römischen sowie jüdisch-christlichen Denken fortzuentwickeln. Selbst die scheinbar dogmatischsten oder originellsten Autoren einzelner Epochen sind ohne ihre antiken und spätantiken Ermöglichungsbedingungen kaum verständlich. Es handelt sich also offenbar mehr um die wiederkehrende querelle des anciens et des modernes, also um die Zurückweisung jüngerer Leistungen unter Rückgriff auf das weiter Zurückliegende, als um einen genuin neuen und authentischen Zugang zum Alten. In dieser Hinsicht zeigt sich, dass das erste Kriterium eigentlich kein Kriterium ist, sondern nur die Selbstdarstellung einer Epoche vorschnell à la lettre nimmt.

(2) Der Kölner Philosoph Andreas Speer hat in den letzten Jahren überzeugend dargelegt, dass im 12. Jahrhundert ein wesentlicher Aufschwung im Naturdenken stattfindet. Die nun schon mehrfach angesprochenen Kommentierungen des naturphilosophischen Dialogs Timaios sind dafür ein wichtiger Beleg, aber auch eigenständige Werke wie die Philosophia Mundi – die Philosophie der Welt – des Wilhelm von Conches stehen in diesem Zusammenhang. Den Denkern der Zeit wird beispielsweise klar, dass es Unterschiede in der Vorgehensweise und im Gegenstand der Physik und der Theologie oder der Philosophie gibt, die nicht nur zu wechselseitigen Begrenzungen der Disziplinen führen, sondern auch neue Möglichkeiten eröffnen. Wilhelm kann so verschiedene Weisen der Entstehung der Natur präsentieren, die jeweils andere Geltungsansprüche erheben.[31]

Zumindest das zweite Kriterium der Renaissance ist also ausdrücklich erfüllt. Die ‚Entdeckung der Natur’ ist nicht erst ein Resultat des Denkens des Leonardo da Vinci und der italienischen Naturforscher des 15. und 16. Jahrhunderts, sondern bereits die Schulen und ihre Magister im 12. Jahrhundert entdecken die sie umgebende Welt in ihrer Eigenheit, die es auch durch Beobachtung zu erkunden gilt.

Noch deutlicher wird die Erfüllung, wenn das Kriterium allgemeiner als ‚Verwissenschaftlichung’ des Denkens verstanden wird: Im 12. Jahrhundert werden alle Bereiche der Welterfahrung und deren Reflexion einer spezifischen Revision unterzogen. Neben der Naturerfahrung und dem Sprachdenken ist davon vor allem die Theologie betroffen. Autoren wie Abaelard aber auch das berühmte Sentenzienwerk des Petrus Lombardus repräsentieren eine Abkehr von einer primär an der Bibel selbst orientierten grammatischen Schriftauslegung, wie sie bis zum Ende des 11. Jahrhunderts üblich war, und die Hinwendung zu Formen systematischer Theologie, die auch in ihren Inhalten häufig eher an nicht konfessionsgebundene philosophische Theologie erinnern als an frühere Formen spezifisch christlicher Theologie. Ein allgemeiner Rationalismus sowie die für den Westen prägende grundsätzliche Orientierung an der Wissenschaft haben ihre Wurzeln also mindestens im 12. Jahrhundert, wenn nicht schon früher.

(3) Aber dies ist nicht alles. Mit Abaelard und Bernhard wurde auf die zwei vielleicht wichtigsten Personen für die Entdeckung des Individuums im 12. Jahrhundert aufmerksam gemacht. Die Scholaren dieser Epoche entdecken ihre eigene Persönlichkeit, das Individuum in seiner je eigenen Beziehung zu Gott, aber auch das menschliche Individuum als Thema der Moral und der wissenschaftlichen Erforschung. Dies war zumindest den frühen Autoren der italienischen Renaissance auch noch bekannt, denn wir wissen, dass z.B. Petrarca und einer seiner engsten Freunde jeweils im Besitz von Handschriften des Briefwechsels zwischen Abaelard und Heloise waren.[32] Es ist also keineswegs abwegig vom Humanismus des 12. Jahrhunderts zu reden, wenn mit Humanismus die Hinwendung zum Menschen, seinem Leben und seiner Welt gemeint ist; auch wenn kein Philosoph heute ohne Zögern und ohne Notwendigkeit das problembeladene Wort des Humanismus gebrauchen sollte. Aber dies lässt sich sicherlich nicht gegen das 12. Jahrhundert allein wenden.

Werfen wir also einen letzten Blick auf das Gesamte von uns Präsentierte, dann scheint es offensichtlich zu sein, dass Darstellungen, die an einer strikten Trennung zwischen dem sogenannten Mittelalter und der sogenannten Renaissance festhalten, zu kurz greifen. Geschichte verläuft nur selten in Sprüngen und nie wird alles vergessen oder einfachhin bei Früherem wiederangeschlossen. So ist die Erforschung des Mittelalters und vor allem des 12. Jahrhunderts, d.h. des Jahrhunderts des Entstehens der Universitäten, des Entstehens der Religiosität, wie wir sie bis heute kennen, des Entstehens eines originär christlichen Rationalismus und wissenschaftlichen Optimismus, so ist also die Erforschung dieser Epoche auch eine Bestimmung der Wurzeln unseres heutigen europäischen Selbstverständnisses, denn wir haben es mit gemeinsamen Wurzeln zu tun.



* Der vorliegende Text ist eine veränderte Fassung eines Vortrags der Autoren in der Stadtbücherei Neuss am 24.05.2000. Die Autoren danken Alwin Müller-Jerina, Silvia Hausmann und dem Deutsch-französischen Kulturkreis Neuss für die freundliche Unterstützung.
[1] Charles Homer Haskins, The Renaissance of the Twelfth Century, Cambridge/Mass. 1927 (Reprint New York 1957), S. vii: „The title of this book will appear to many to contain a flagrant contradiction. A renaissance in the twelfth century! Do not the Middle Ages, that epoch of ignorance, stagnation, and gloom, stand in the sharpest contrast to the light and progress and freedom of the Italian Renaissance which followed? How could there be a renaissance in the Middle Ages, when men had no eye for the joy and beauty and knowledge of this passing world, their gaze ever fixed on the terrors of the world to come?”
[2] Ebd., S. viii: „The epoch of the Crusades, of the rise of towns, and of the earliest bureaucratic states of the West, it saw the culmination of Romanesque art and the beginnings of Gothic; the emergence of the vernacular literatures; the revival of the Latin classics and of Latin poetry and Roman law; the recovery of Greek science, with its Arabic additions, and of much of Greek philosophy; and the origin of the first European universities. The twelfth century left its signature on higher education, on the scholastic philosophy, on European systems of law, on architecture and sculpture, on the liturgical drama, on Latin and vernacular poetry.”
[3] Zur Kritik an der Betrachtung bestimmter Autoren des 12. Jahrhunderts als solchen einer ‚Renaissance‘ siehe R. W. Southern, Scholastic Humanism and the Unification of Europe: Foundations – Vol. I, Oxford 1997, S. 58-101; zur Verteidigung der These gegen die Vorwürfe siehe u.a. Peter Dronke, „New Approaches to the School of Chartres”, in: Anuario de estudios medievales 6 (1969), S. 117-140; Nikolaus Häring, „Paris and Chartres revisited”, in: J. R. O’Connell (ed.), Essays in Honour of A. C. Pegis, Toronto 1974, S. 268-329; Winthrop Wetherbee, „Philosophy, Cosmology, and the Twelfth-Century Renaissance”, in: Peter Dronke (ed.), A History of Twelfth-Century Western Philosophy, Cambridge 1988, S. 21-53. Einen Gesamtüberblick über verschiedene Diskussionsstränge bietet Peter Weimar (Hg.), Die Renaissance der Wissenschaften im 12. Jahrhundert, Zürich 1981.
[4] Jacob Burckhardt, Die Kultur der Renaissance in Italien, Frankfurt und Leipzig 1997, S. 137.
[5] Ebd., S. 175.
[6] Eine parallele kurze Darstellung der historischen Situation des 12. Jahrhunderts mit Blick auf die philosophisch-wissenschaftlichen Veränderungen findet sich bei Kurt Flasch, Das philosophische Denken im Mittelalter, Stuttgart 1986, S. 194-210.
[7] Siehe Jacques Le Goff, Les intellectuels au Moyen Age, Paris 1957.
[8] Die Ausführungen dieses Abschnitts beziehen wesentliche Informationen aus Dominique Barthélemy, L’orde seigneurial (Nouvelle Histoire de la France médiévale: 3. XIe-XIIe siècle), Paris 1990, sowie Georges Duby, Die drei Ordnungen – Das Weltbild des Feudalismus, Frankfurt 1986. Zentral für den ökonomischen Zusammenhang ist auch Georges Duby, „Guerriers et Paysans – VIIe-XIIe siècle: Premier essor de l’économie européenne” (1973), in: ders., Féodalité, Paris 1996, S. 1-265.
[9] Siehe dazu Jonathan Riley-Smith, The Crusades – A Short History, New Haven 1987.
[10] Zur Problematik der politologischen Begrifflichkeit siehe Otto Gerhard Oexle, „Die funktionale Dreiteilung der Gesellschaft bei Adalbero von Laon – Deutungsschemata der sozialen Wirklichkeit im frühen Mittelalter”, in: Frühmittelalterliche Studien 12 (1978), S. 1-54.
[11] R. W. Southern, Scholastic Humanism and the Unification of Europe: Foundations – Vol. 1, Oxford 1997, S. 243.
[12] Siehe dazu auch Peter G. Stein, Römisches Recht und Europa – Die Geschichte einer Rechtskultur, Frankfurt 1996, S. 86-109.
[13] R. W. Southern, Scholastic Humanism and the Unification of Europe: Foundations – Vol. 1, Oxford 1997, S. 284.
[14] Siehe dazu Jean-François Leroux-Dhuys, Die Zisterzienser – Geschichte und Architektur, Köln 1998.
[15] Zu den einander widerstrebenden Tendenzen innerhalb dieses Bereichs im 12. Jahrhunderts siehe Georg Wieland, „Rationalisierung und Verinnerlichung. Aspekte der geistigen Physiognomie des 12. Jahrhunderts”, in: J. P. Beckmann, L. Honnefelder u.a. (Hg.), Philosophie im Mittelalter – Entwicklungslinien und Paradigmen, Hamburg 1987, S. 61-79.
[16] Siehe dazu Joachim Ehlers, „Die hohen Schulen”, in: ders., Ausgewählte Aufsätze, hg. von Martin Kintzigner und Bernd Schneidmüller, Berlin 1996, S. 115-142.
[17] Den Zusammenhang des Entstehens der Universitäten mit den hohen Schulen des 12. Jahrhunderts gibt der folgende Band wieder: Stephen C. Ferruolo, The Origins of the University – The Schools of Paris and their Critics, 1100-1215, Stanford 1985.
[18] R. W. Southern, Scholastic Humanism and the Unification of Europe: Foundations – Vol. 1, Oxford 1997, S. 163-233.
[19] Siehe allgemein hierzu G. R. Evans, Old Arts and New Theology, Oxford 1980.
[20] Petrus Abaelardus, Epistula I, PL 178, col. 115: „Oppido quodam oriundus, quod in ingressu minoris Britanniae constructum, ab urbe Nannetica versus Orientem octo credo milliariis remotum, proprio vocabulo Palatium appellatur. Sicut natura terrae meae vel generis animo levis, ita et ingenio exstiti ad litteratoriam disciplinam facilis. Patrem autem habebam litteris aliquantulum imbutum antequam militari cingulo insigniretur. Unde postmodum tanto litteras amore complexus est [...] Me itaque primogenitum suum quanto chariorem habebat, tanto diligentius erudiri curavit. Ego vero quanto amplius et facilius in studio litterarum profeci, tanto ardentius in eis inhaesi, et in tanto earum amore illectus sum, ut militaris gloriae pompam cum haereditate et praerogativa primogenitorum meorum fratribus derelinquens, Martis curiae penitus abdicarem ut Minervae gremio educarem. Et quoniam dialecticarum rationum armaturam omnibus philosophiae documentis praetuli, his armis alia commutavi, et tropaeis bellorum conflictus praetuli disputationum. Proinde diversas disputando perambulans provincias, ubicunque huius artis vigere studium audieram Peripateticorum aemulator factus sum.”
[21] Petrus Abaelardus, Theologia summi boni, üs. u. hg. v. U. Niggli, Hamburg 1989, S. 66/67: „Haec docet docere, haec docet discere. In hac se ipsa ratio demonstrat atque aperit, quid sit, quid velit; scit scire, sola scientes facere non solum vult, sed etiam potest.”
[22] Ebd., S. 82/83: „[...] praesertim cum alio modo non possimus, nisi per humanas rationes satisfecerimus. Quidquid itaque de hac altissima philosophia disseremus, umbram, non veritatem esse profitemur, et quasi similitudinem quandam, non rem. Quid autem verum sit, noverit dominus, quid autem verisimile ac maxime philosophicis consentaneum rationibus, quibus impetimur, dicturum me arbitror.”
[23] Ebd.: „De quo quidem nos docere veritatem non promittimus, quam neque nos neque aliquem mortalium scire constat, sed saltem aliquid verisimile atque humanae rationi vicinum nec sacrae scripturae contrarium proponere libet [...]”
[24] Siehe zu Reichweite und Grenzen der Vernunfterkenntnis in der Theologie Abaelards Alexander Fidora, „Die Verse Römerbrief 1, 19ff. im Verständnis Abaelards“, in: Patristica et Mediaevalia 21 (2000).
[25] Bernardus Claravallensis, Sermones in cantica, Sermo XXXVI, PL 183, col. 968-969: „Sunt namque qui scire volunt eo fine tantum, ut sciant; et turpis curiositas est. Et sunt qui scire volunt, ut sciantur ipsi; et turpis vanitas est. [...] Et sunt item qui scire volunt ut scientiam suam vendant [...] et turpis quaestus est. Sed sunt quoque qui scire volunt, ut aedificent; et charitas est. Et item qui scire volunt, ut aedificentur: et prudentia est.”
[26] Bernardus Claravallensis, In festo SS. Petri et Pauli, Sermo II, PL 183, col. 407: „Hi sunt magistri nostri [...] Quid ergo docuerunt vel docent nos apostoli sancti? [...] Docuerunt me vivere. Putas, parva res est scire vivere?”
[27] Bernardus Claravallensis, Contra quaedam capitula errorum Abaelardi, PL 182, col. 1055: „Habemus in Francia novum de veteri magistro theologum, qui ab ineunte aetate sua in arte dialectica lusit, et nunc in Scripturis sanctis insanit. [...] et dum paratus est de omnibus reddere rationem, etiam quae sunt supra rationem, et contra rationem praesumit, et contra fidem. Quid enim magis contra rationem, quam ratione rationem conari transcendere?”
[28] Petrus Abaelardus, Epistula Petri Abailardi contra Bernardum abbatem, ed. Raymond Klibansky, in: Medieval and Renaissance Studies 5 (1961), S. 1-27, hier S. 5: „Ille quippe occultus iam dudum inimicus, qui se huc usque amicum, immo amicissimum simulavit, in tantam nunc exarsit invidiam, ut [nunc] scriptorum meorum titulum fere non posset, quibus gloriam suam tanto magis humiliari credidit, quanto magis me sublimari putaverit.”
[29] Bernardus Claravallensis, Epistula CCL, PL 182, col. 451: „Ego enim quaedam chimaera mei saeculi [...]”
[30] Petrus Abaelardus, Epistula XVII, PL 178, col. 375: „Soror mea Heloissa quondam mihi in saeculo chara, nunc in Christo charissima, odiosum me mundo reddidit logica. Aiunt enim perversi pervertentes, quorum sapientia est in perditione, me in logica praestantissimum esse, sed in Paulo non mediocriter claudicare cumque ingenii praedicent aciem, Christianae fidei subtrahunt puritatem. [...] Nolo sic esse philosophus, ut recalcitrem Paulo. Non sic esse Aristoteles, ut secludat a Christo.”
[31] Siehe dazu Alexander Fidora und Andreas Niederberger, „Philosophie und Physik zwischen notwendigem und hypothetischem Wissen – Zur wissenstheoretischen Bestimmung der Physik in der Philosophia des Wilhelm von Conches”, in: Early Science and Medicine 6 (2001).
[32]
Siehe Étienne Gilson, Héloïse et Abélard, Paris 1997, S. 9.